Was hat Guantanamo mit Auschwitz zu tun?
Muslim-Markt, 28.11.2005
Die Lager selbst sind kaum vergleichbar, aber die schweigenden
Zuschauer können durchaus verglichen werden.
Tatsächlich wäre ein Vergleich von Auschwitz mit Guantanamo in
vielerlei Hinsicht kaum zu rechtfertigen. Auschwitz ist das Symbol und
Mahnmahl einer Völkervernichtung. Menschen, die man einer bestimmten
„Rasse“ zugeordnet hat aber nicht nur die! wurden systematisch in
Lagern konzentriert und in unterschiedlicher Weise ausgebeutet bis hin
zur systematischen Vernichtung. Auschwitz steht für einen Rassismuswahn,
der Menschen in unterschiedliche Gruppen von Menschen einteilt und jene
dann „Rasse“ nennt, mit mörderischen Konsequenzen. Auschwitz ist das
Symbol für hunderte gleichartiger Lager, deren Namen teilweise nicht
mehr bekannt sind, aber die in ihrer Vernichtungsmentalität nicht minder
brutal waren. Auschwitz ist einer von vielen Schandflecken eines
Diktators, der die Welt mit fürchterlichen Kriegen überzogen hat, selbst
wenn er historisch betrachtet sicherlich nicht der einzige Verbrecher
seiner Zeit war.
Auschwitz ist aber auch ein Symbol dafür, dass Millionen von Menschen
viel zu spät ein Verbrechen unvorstellbaren Ausmaßes erkannt haben und
sich im Nachhinein dafür schämen mussten. Und das ist der wichtige
Aspekt, der hier behandelt werden soll: Man kann dem damaligen deutschen
Volk, dem sogenannten Mann auf der Straße, den Millionen von Mitläufern,
wirklich viel vorwerfen, dass sie nicht hinreichend nachgeforscht haben,
dass sie manches nicht wissen wollten, dass sie naiv waren, dass sie das
Böse ausblenden wollten usw. usw. Aber man kann den Allermeisten nicht
vorwerfen, dass sie konkret von Auschwitz „gewusst“ haben! Nein, die
Lager waren den Allermeisten genau so wenig bekannt, wie deren Namen.
Und an eine systematische Vernichtung haben die allerwenigsten gedacht,
obwohl es gerüchteweise Hinweise gab. Damals gab es kein Fernsehen,
damals gab es kein Internet, keine Farbfotos, die in Webforen
veröffentlicht wurden, keine einzelnen Offiziere, die sich weltweit
äußern konnten und keine Augenzeugenberichte, die in Minuten um die Welt
gingen, so dass jeder sie hören und sehen konnte.
Zugegeben, in den heutigen Guantanamos geht es nicht um Millionen
sondern nur um Zehntausende. Zugegeben, es geht auch nicht um die
Vernichtung von Juden sondern „nur“ um die Demütigung von Muslimen mit
tödlichen Kolateralschäden dabei. Zugegeben es gibt auch keine
Gaskammern sondern „nur“ derart unmenschliche Folter, dass die
schlimmsten Fotos solcher Lager der Menschheit nicht zugemutet werden
können. Aber neben all jenen Unterschieden, welche die
Unvergleichbarkeit mit Auschwitz klar verdeutlichen, gibt es einen
weiteren gravierenden Unterschied, der doch einen Vergleich nicht der
Lager sondern der Zuschauer notwendig macht: Denn heute ist es anders!
Heute kennt fast jeder den Namen Guantanamo. Fast jeder weiß, dass
Guantanamo auch ein Vernichtungslager ist. Fast jeder weiß, dass die
Gefangenen dort nicht die geringsten Rechte haben, nicht einmal das
Recht, ihre Noch-Existenz im Lager zu veröffentlichen, so dass ein
„Verschwinden“ in den meisten Fällen niemals bekannt wird. Und jeder
weiß inzwischen auch, dass Guantanamo ein Symbol ist für viele weitere
Lager überall in der Welt mit ähnlich fürchterlichen Konsequenzen. Jeder
weiß es; der Politiker, der Journalist, der Nachrichtenkonsument, der
Lehrer, der Mann und die Frau auf der Straße, ja selbst der Hofdichter
weiß es! Niemand kann sich herausreden, niemand kann behaupten, er hätte
davon nicht gewusst!
Wir haben einen der offensichtlichsten und brutalsten
Menschenrechtsverbrechen unserer Zeit vor uns, und fast niemanden in der
westlichen Welt schert es. Bürgerliche Politiker beteuern weiterhin ihre
feste Freundschaft mit den USA, den Betreibern der Guantanamos.
„Demokratisch“ legitimierte Staatschefs unterstützen die USA bei ihrem
Feldzug gegen ein fremdes Volk und tragen dazu bei, dass die vielen
Guantanamos hinreichend Nachschub erhalten. Und alle sind miteinander
Freund! Der neue deutsche Außenminister soll bei seinem Besuch bei
Freunden einmal höflichst nachfragen, ob jene Guantanamo-Insassen bei
ihren Deportationen durch die Welt auch in Deutschland zwischengelandet
sind. Wenn es ein Direktflug ohne Zwischenlandung war, dann gibt es
keine Probleme! Rumänien soll erklären, ob es US-Guantanamos in seinem
Land zugelassen hat. Falls ja, soll Rumänien echten EU-Ärger bekommen,
nicht aber die USA. In der gesamten westlichen Welt kommt der Protest
gegen Guantanamo einem leisen Flüstern gleich, wenn man es mit dem
lautstarken Protest in der restlichen Welt vergleicht (die es
tatsächlich gibt sowohl den Protest als auch die restliche Welt).
Und so drängen sich also doch einige Vergleiche mit „damals“ auf.
Damals wussten also nur wenige von Hitlers Verbrechen bzw. von jenem
Ausmaß, dennoch gab es ernsthaften Widerstand unter den Offizieren, die
heute als Helden der Nation gelten! Heute wissen alle von den Verbrechen
der USA und der Widerstand ist nahezu gleich NULL! Ja, ein bisschen
Kritik hier und da, gefüttert mit freigegebenen Fotos aus dem
US-Propagandaministerium, ein wenig wohldosierte gleichgeschaltete
kritische Fragen, um die Kritik in geordneten Bahnen zu halten, aber
niemals Konsequenzen, niemals echten Einsatz für die Unterdrückten,
selbst wenn ein Deutscher darunter ist (na ja, er ist ja kein „echter“
Deutscher, sondern nur Muslim)! Und sind viele Guantanamo-Insassen nicht
irgendwie auch selbst schuld? Merkwürdig, dass bei letzter Frage ein
ungutes geschichtliches Gefühl aufkommt. Damals drohte jedem kritischen
Offizier die Todesstrafe. Damals landete jeder kritische Journalist
selbst in Ausschwitz. Heute droht keinem deutsche Offizier die
Todesstrafe und kein deutscher Journalist wird in Guantanamo landen
(außer er ist Muslim uns lässt sich im Irak ergreifen). Heute droht
schlimmstenfalls der Jobverlust.
Was könnte man daraus lernen? Manch wacher Geist könnte zu dem
Schluss kommen, dass heutige Verantwortungsträger allesamt erbärmliche
Feiglinge sind und viel größere Schuld auf sich laden, als die angeblich
ewige und sogar angeblich vererbbare Schuld, die unsere Kinder in den
Schulen bezüglich deutschem Volk eingetrichtert bekommen. Denn für die
Verbrechen der Großväter kann niemand etwas, aber für unser eigenes
Schweigen schon! Eine vererbbare Schuld gibt es in keiner ernsthaften
Religion oder Ideologie der Welt. Aber die Mitschuld für Schweigen zum
offenkundigen Unrecht ist allen Religionen und Ideologien gemein! Das
heutige deutsche Volk ist nicht mehr für das Auschwitz der Großeltern
verantwortlich aber für Guantanamo sicherlich mitverantwortlich, denn es
geschieht heute! Was hätten wohl die Fischers, Schilys, Cohn-Bendits,
und wie sie alle heißen mögen, damals in den 60ern auf deutschen Straßen
veranstaltet, wenn es damals schon Guantanamo gegeben hätte? Jene
Menschen, die in den 60ern mit ihren „Widerstand“ an die Grenzen des
Rechtsstaates gegangen sind und teilweise darüber hinaus (die Plädoyers
Schilys von damals kann man bis heute dem deutschen Volk nicht zumuten
und sind ein Staatsgeheimnis!) haben dann später dieses Land regiert in
einer Zeit, in der lauter Guantanamos errichtet und bekannt wurden!
Der heutige Widerstand in Deutschland geht (bis auf geringe Ausnahmen
der sogenannten Linksextremisten; die Rechtsextremisten schweigen lieber
zu Auschwitz und können daher nicht so laut gegen Guantanamo schreien)
größtenteils von sogenannten „Islamisten“ in diesem Land aus. Und die
werden auch dafür fertig gemacht! Jene Muslime werfen nicht mit Steinen,
sie halten keine Reden, die 30 Jahre lang unter Verschluss gehalten
werden müssen, und sie fordern ihre Anhänger zur Rechtstreue auf. Aber
die Tatsache, dass es sie gibt, die Tatsache, dass sie beten, dass sie
die Weiblichkeit dem Konsummissbrauch entziehen und vieles andere mehr,
macht sie zu Staatsfeinden! Denn sie „rütteln“ an der Schweigsamkeit.
Sie rütteln an der Beteiligung an Unrecht. Sie bestehen auf
Gerechtigkeit; ein Begriff, der schon lange aus den Wörterbüchern von
Politikern gestrichen wurde (Deutschland setzt sich nicht für einen
demokratischen UN-Sicherheitsrat ein, sondern dafür, selber Sonderrechte
zu genießen).
Das führt dann dazu, dass Bücher geschrieben werden über Muslime. Die
haben zwar nicht den Titel „Der ewige Muslim“, aber der Inhalt ist
vergleichbar mit jener volksverhetzenden Hasstirade von Henry Ford über
Juden, dessen Verkauf in Deutschland verboten ist. Das führt dazu, dass
die heutigen Schreiber solcher Machwerke gegen Muslime in den Medien
verehrt und als „Experten“ ausgewiesen werden anstatt ihre
volksverhetzenden Aussagen anzuprangern. Das führt dazu, dass sämtliche
Muslime unter Generalverdacht geraten und selbst die Interpretation des
eigenen Glaubens den praktizierenden Muslimen nicht mehr zugestanden
wird! Und so ist heute jeder Muslim, der laut und unmissverständlich
gegen Guantanamo aufschreit gefährdeter in diesem Land, als diejenigen,
die solche Lager zu rechtfertigen suchen.
Ist das die Lehre aus Auschwitz? Gott bewahre Deutschland davor!
PS: Guantanamo-ähnliche Lager hat es u.a. auch bei der Besatzung des
Libanon durch Israel gegeben. Jene fürchterlichen Lager im Südlibanon
mahnen heute, nach der Befreiung, als Museum und Mahnmahle von den
Verbrechen israelischer Soldaten und ihrer Verbündeten. In Deutschland
wird von solchen Museen kaum berichtet!
Mit herzlichen Grüßen von
Ihrem Muslim-Markt-Team