Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Oliver Natter
 

Muslim-Markt interviewt den Sudan-Friedensaktivisten 
Oliver Natter

29.6.2004

MMag. Oliver Natter (oliver.amigo@gmx.at), Jahrgang 1972, ist Politikwissenschaftler und Betriebswirt, Lehrer und Obmann mehrerer Vereine, u.a. Landesobmann des RUF Vorarlberg. 

Oliver Natter

Stephen Deh

Seit Monaten ist es sein größtes Anliegen die Katastrophe in der Region Dafur im Sudan publik zu machen, dafür hat er mit Schülern, Kollegen und Freunden auch ein Netzwerk gegründet. Diesem "privaten" Netzwerk gehören Menschen der verschiedensten Religionen und Staaten an, besonders aber Afrikaner, Afghanen und Österreicher. Sehr aktiv sind dabei auch Herr Stephen Deh aus Ghana (stevendeh2@yahoo.co.uk) der seit Jahren gegen die Sklaverei kämpft und der Afghane Din Ismail Massud (massud5@excite.com). 

MM: Sehr geehrter Herr Natter,  was ist der Hintergrund für Ihr Engagement im Sudan?

Natter:  Zusammen mit Freunden setzen wir uns ein gegen das Schweigen bezüglich der humanitären Katastrophe in Dafur und denken dass es die Verpflichtung aller Menschen ist, diesen Völkermord zu stoppen. Seit einiger Zeit findet, von den Medien weitestgehend nicht zur Kenntnis genommen, in der fast ausschließlich negrid bevölkerten westsudanesischen Provinz Dafur ein Genozid statt. Neu ist, daß auch islamisierte, aber negride Bevölkerungsteile diesmal keinerlei Schonung erfahren. Das Argument dass es sich bei dem Konflikt um einen Religionskonflikt handelt ist also, wie so oft, falsch. Auch im Sudan wird die Religion missbraucht um wirtschaftliche und politische Ziele zu verheimlichen. Zudem scheint ein Konflikt, in dem Muslime andere Muslime töten, niemand zu interessieren! Nach Bombardements der Dörfer mit Flugzeugen folgen Bodentruppen und berittene Horden, die die Überlebenden wahlweise vergewaltigen, als Sklaven entführen oder dahinschlachten. Zur Zeit sind innerhalb Darfurs eine Million Menschen auf der Flucht. Weitere 1,2 Mio. sind in den Tschad geflohen. Diese Flüchtlinge benötigen verzweifelt humanitäre Hilfe. Die Vereinten Nationen bezeichneten Darfur als „derzeit weltgrößte humanitäre Krise“.

MM: Was glauben Sie sind die Gründe für diese Katastrophe?

Natter: Der Ursprung der humanitären Katastrophe liegt in einer von der sudanesischen Regierung betriebenen Kampagne der „ethnischen Säuberung“, die sich gegen Zivilisten dreier ethnischer Gruppen richtet. Nur wenn auch die Menschenrechtslage bedacht werde, können Geberländer darauf hoffen, dass die humanitäre Krise gelöst werde. Sofort benötigte humanitäre Hilfe allein reicht nicht aus: Die ethnischen Säuberungen der sudanesischen Regierung müssen ein Ende nehmen. Milizen - als Janjaweed bekannt -, die von der sudanesischen Regierung bewaffnet, ausgebildet und entsendet worden sind, überfielen und brannten Hunderte von Dörfern nieder, töteten Tausende von Zivilisten, raubten Hunderttausende Tiere und zerstörten Landwirtschaftsgüter und Wasserressourcen. Die Milizen wurden auf dem Landweg von der sudanesischen Armee und aus der Luft von Antonow-Flugzeugen und Kampfhubschraubern unterstützt. Dieses Bündnis zielt auf Zivilisten der ethnischen Gruppen der Fur, Masalit und Zaghawa ab, da die Rebellen aus Darfur ihre Mitglieder aus diesen drei Bevölkerungsgruppen rekrutieren. Nach den Angriffen hatte die sudanesische Regierung die überlebende Zivilbevölkerung daran gehindert, in ihre Häuser zurückzukehren.

MM: Nun hat die sudanesische Regierung gerade erst ein Abkommen mit dem vermeintlich christlichen Süden getroffen und signalisiert, das sie an Frieden im Land interessiert ist. Können Sie sich vorstellen, dass die von Ihnen erwähnten Rebellen von Gruppen bewaffnet und unterstützt werden, denen es gar nicht am Frieden in diesem großen afrikanischen Land gelegen ist und - wie so oft - die unschuldige Zivilbevölkerung zu leiden hat?

Natter: Eine gute Frage, aber obwohl westliche Staaten und Firmen in so ziemlich jedem Konflikt in Afrika mitmischen, ist dies in Dafur meiner Ansicht nach primär nicht der Fall. Wobei es schon Quellen gibt die von vermuteten Ölvorkommen in Dafur sprechen. Im Konflikt mit der SPLA im Süden des Landes ging es maßgeblich auch um Öl, in der Region Dafur geht es meiner Ansicht nach aber vor allem um die Zugehörigkeit des Gebietes. Die Regierung befürchtet dass die Fur und Masalit zum Süden tendieren würden. Im Konflikt mit dem Süden haben einige Staaten eine Rolle gespielt, von China bis zur USA, auch einige Erdölfirmen haben da mitprofitiert. In Dafur gibt es jedoch keine Ressourcen wie im Süden. Im Krieg von 1985 bis 1988 in dem die Fur und die „arabischen“ Stämme einen erbitterten Krieg führten, standen machtpolitische Interessen des Tschad, Libyens Islamischer Legion und der Partei des damaligen Regierungschefs Sadik al-Mahdi eine große Rolle.

Die Ziele der Rebellenorganisationen Befreiungsbewegung Sudans (SLA) und Bewegung für Gerechtigkeit und Gleichheit (Justice and Equality Movement, JEM) sind sehr unterschiedlich. Interessant ist hier aber vor allem wie hier mit Stereotypen um sich geworfen wird. Auf der einen Seite bezeichnet sich die sudanesische Regierung als islamisch, ermordet auf der anderen Seite aber Tausende von Muslimen. Auf der anderen Seite bezeichnet die Regierung gegenüber den westlichen Medien die JEM als verlängerten Arm der "Islamisten" und schon klingelten bei den Politikern der USA die Alarmglocken, ganz nach dem Moto ein Krieg gegen "Islamisten" muss ein guter Krieg sein. 

MM: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat ja bereits im April 2004 die Konfliktparteien im Westen Sudans eindringlich zur Beendigung der Kämpfe aufgerufen. Es müssten alle Anstrengungen unternommen werden, eine friedliche Lösung für den Konflikt in der Region Darfur zu finden, sagte damals der deutsche UN-Botschafter und amtierende Ratspräsident Gunter Pleuger nach der einstimmigen Verabschiedung der Erklärung. Die sudanesischen Behörden werfen dem verhafteten Oppositionspolitiker Hassan Turabi offiziell Verschwörung und Aufstachelung zum Hass gegen den Staat vor, wobei er angeblich einen Putsch gegen Präsident Omar el Baschir geplant haben sollen. Turabi und Baschir waren lange Zeit politische Weggefährten. Was könnte an diesen Machtpolitischen Vorwürfen dran sein?

Natter: Tatsache ist, dass der Führer der JEM, der 44-jährige Khalil Ibrahim, lange Zeit Mitglied der  Partei von Hassan al-Turabi war, der sich nach verlorenen Machtkämpfen 1999 mit dem Regime von al-Baschir überwarf. Im Jahr 2000 veröffentlichte seine Gruppe anonym ein viel beachtetes "Schwarzbuch", in dem kritisiert wurde wie korrupt die Regierung des Sudan ist und wie einzelne Stämme die Macht an sich gerissen hätten. Was daran schlimm sein soll ist mir unklar, allerdings ist das nicht der wichtige Punkt. Für mich ist der Skandal der, dass der Sudan wegen der angeblichen Beherbergung von Bin Laden boykottiert wurde, jetzt wo es ethnische Säuberungen und eklatante Menschenrechtsverletzungen gibt davon aber nicht mehr die Rede ist. 

MM: Welche Quellen haben Sie für Ihre Informationen und wie zuverlässig sind diese?

Natter: Unsere Quellen sind in erster Linie aus westlichen Medien, auch in obigen Antworten habe ich westliche Quellen rezitiert. Allerdings verfügen wir über unsere afrikanischen Freunde auch über Informationen aus Afrika und haben uns auch mit der Position der Regierung des Sudan beschäftigt. Wobei hier für uns ganz klar ist, dass die ethnische Vertreibung im Sudan keine Erfindung ist, sondern wirklich stattfindet. Unser Engagement geht vor allem dahin, Hilfsorganisationen zu unterstützen, Politiker zum Eingreifen zu bewegen und die Öffentlichkeit wachzurütteln. Es geht uns vor allem darum, den Menschen zu helfen, wir sind gegen eine militärische Intervention aber für mehr Druck auf die Regierung im Sudan das Morden zu beenden.

MM: Welche Interessen stecken hinter dem Konflikt?

Natter: Der Konflikt ist vielfältig, generell kann man ihn aber darauf vereinfachen dass „arabische" Nomaden, die Wasser- und Weideland für ihre Tiere brauchen, gegen "afrikanische" Bauern kämpfen, die die kargen Erträge ihres Bodens schützen wollen. Regierungstruppen unterstützen die "Araber" nach Kräften, die Bauern wiederum tun sich mit den Aufständischen zusammen. So vielfältig die Interessen sind, so eindeutig leidet vor allem die Zivilbevölkerung unter ihnen.

MM: Um solch einen oberflächlich schwer durchschaubaren Konflikt besser zu verstehen, stellen wir immer folgende Frage: Wer profitiert eigentlich von diesem Konflikt, wem nützt er und wer hat Vorteile davon im In- und Ausland?

Natter: Ich denke der Konflikt nützt in erster Linie der sudanesischen Regierung die so ihre „widerspenstige“ Bevölkerung los wird. Der Konflikt nützt den Janjawid die sich bereichern. Der sudanesische Staat wird natürlich von Erdölfirmen unterstützt. Auch von uns ganz bekannten. Das Engagement der österreichischen ÖMV endete erst nach massivstem Protest. Im Gegensatz aber zu Staaten wie etwa Nigeria, in dem Shell hinter angeblichen ethnischen Unruhen steckte, spielen ausländische Interessen unserer Ansicht nach, wenn überhaupt, eine zweitrangige Rolle. In erster Linie sind die Janjawid und die sudanesische Regierung für den Völkermord verantwortlich.

MM: Was kann gegen dieses Unheil praktisch getan werden? Was empfehlen Sie den Lesern?

Natter: Es gibt mehrere Hilfsorganisationen, etwa Ärzte ohne Grenzen, Human rights watch, und weitere 10 Hilfsorganisationen haben sich unter „Deutschland hilft“ zusammengeschlossen. Wichtig ist aber auch Druck auf die eigene Regierung auszuüben. Die Halbherzigkeit der westlichen Regierungen erinnert uns sehr an den Völkermord in Ruanda. Ein email oder ein Brief an das jeweilige Außenministerium, auch an die sudanesische Botschaft halten wir für sehr sinnvoll. Vor allem wäre hier interessant nachzufragen wieso eine angeblich islamische Regierung Tausende von Muslimen ermorden lässt. Für ein, zwei emails sollte jeder etwas Zeit haben. Humanitäre Hilfe allein genügt nicht, das Morden muss endlich aufhören.

MM: Herr Natter, wir danken Ihnen für das Interview.

 

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