Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Christopher Peters
 

Muslim-Markt interviewt 
Christoph Peters, Autor des Buches "Ein Zimmer im Haus des Krieges"

17.12.2006

Christoph Peters (Jahrgang 1966), hat von 1988 bis 1994 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe Malerei studiert – zuletzt als Meisterschüler. Zunächst veröffentlichte Christoph Peters in Anthologien und im rheinland-pfälzischen Literaturjahrbuch. Sein Romandebüt „Stadt Land Fluß“ (1999) wurde von der Kritik durchgehend hochgelobt, der Autor als Nachwuchsstar gehandelt. Er erhielt einige Preise, u. a. den Martha-Saalfeld-Förderpreis, den Aspekte-Literaturpreis des ZDF und den Niederrheinischen Literaturpreis der Stadt Krefeld.

2001 erschien sein gleichfalls von der Kritik gefeierter Erzählungsband „Kommen und gehen, manchmal bleiben“, im Frühjahr 2004 der Roman „Das Tuch aus Nacht“, eine vielschichtige Geschichte von Mord und Tod und Liebe in einer Winterwoche in Istanbul. 2006 erschien sein Roman "Ein Zimmer im Haus des Krieges", der sich intensiv mit dem Islam und Muslimen auseinander setzt. Christoph Peters ist verheiratet und lebt mit seiner Familie in Berlin.

MM: Sehr geehrter Herr Peters. Ihr neuer Roman "Ein Zimmer im Haus des Krieges" behandelt den religiösen Fundamentalismus und Ursachen des Terrors. Was hat Sie dazu bewegt dabei einen so weiten Bogen zwischen den 68ern bis hin zu der heutigen Weltlage zu schlagen?

Peters: Es gab für mich eine ganze Reihe von Gründen, diese Bezüge herzustellen: Seit Anfang der 90er Jahre erstmals Berichte über islamistische Gewalt durch die hiesigen Medien gingen, waren die Reaktionen fast durchgängig von völligem Unverständnis geprägt, nach dem Motto: "So ‘was wäre bei uns undenkbar!" – Dabei lag die Hochzeit des linksextremistischen Terrors in Europa gerade mal zehn Jahre zurück. Ich wollte zunächst eigentlich nur darauf hinweisen, dass die Möglichkeit gegen gesellschaftliche Fehlentwicklungen und für bestimmte Idealvorstellungen, Tote und Verletzte in Kauf zu nehmen, auch bei uns noch bis vor Kurzem durchaus erwogen und in die Tat umgesetzt worden war. Darüber hinaus haben - auch wenn man Kommunismus und Islam kaum miteinander vergleichen kann - die 68er Bewegung und die islamischen Erneuerungsbewegungen – zumindest in Ägypten - eine Reihe von Ähnlichkeiten sowohl in ihrer Entwicklung als auch in ihren Anliegen: Beide Bewegungen hatten ihren Ursprung an den Universitäten und richteten sich gegen im Geistigen wie im Sozialen verkrustete, autoritäre Strukturen ihrer jeweiligen Gesellschaften. Beide standen oder stehen vor dem Problem, ihre Vorstellung einer – hier: gerechten, da: gottgefälligen Gesellschaft auf dem Weg der Diskussion und schrittweisen Veränderung nicht verwirklichen zu können, bzw. sogar für ihre Überzeugungen verfolgt zu werden. Deshalb entscheiden sich Teile der jeweiligen Gruppierungen im Lauf der Zeit für Gewalt als ultima ratio, obwohl deren Anwendung – insbesondere wenn sie Unbeteiligte trifft - ihren Idealen eigentlich zuwiderläuft bzw. streng verboten ist. Dieser Zwiespalt führt zwangsläufig zu großen, letztlich nicht auflösbaren Konflikten innerhalb der Bewegungen. Hier wie dort stellt jeder Tote erneut die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt, das Ziel die Schritte rechtfertigt. Darüber hinaus haben der Niedergang des Sozialismus und die damit verbundenen Enttäuschungen - insbesondere in vielen ärmeren Ländern der Welt - eine neue Bereitschaft freigesetzt, sich auf das jeweilige religiöse Erbe und seine gesellschaftsverändernde Kraft zu besinnen. Ein weiterer Punkt war, dass einige der Hauptvorwürfe, die seitens der islamistischen Bewegungen gegen den Westen erhoben werden, nämlich eine Politik der Ausbeutung, des imperialistischen Strebens nach Weltherrschaft zu betreiben - militärisch, ökonomisch und kulturell -, dass diese Vorwürfe identisch sind mit dem, was die Linke in 68ern den eigenen Regierungen und Wirtschaftsführern vorgeworfen hat.

MM: Welche "Begegnungen" mit dem Islam hatten bzw. haben Sie denn, dass Sie sich an solch ein kontrovers diskutiertes Thema herangewagt haben?

Peters: Meine Beschäftigung mit dem Islam reicht sehr lange zurück: Die Schwester meiner ersten Frau ist mit einem Ägypter verheiratet und schon vor zwanzig Jahren zum Islam konvertiert. Dadurch war ich mehrfach für längere Zeit in Ägypten und zwar eben nicht als Tourist sondern als Angehöriger einer muslimischen Familie. Als ich 1993 zum ersten Mal nach Kairo kam, hatte ich mehr oder weniger all die Vorurteile im Gepäck, die man als westlicher Intellektueller dem Islam entgegenbringt. Ich war der Überzeugung, dass der Islam die reaktionärste von allen Religionen sei, rechnete mit unkontrolliert aggressiven Männern und verhuschten, geknechteten Frauen – doch was ich tatsächlich dort vorfand, passte in nichts zu meinen Erwartungen und Klischees. Ich traf Menschen, die auf eine sehr freie und selbständige Weise religiös bzw. fromm waren, obwohl – oder gerade weil? - sie sich an die Regeln ihrer Religion hielten. Fast jedes Gespräch landete früher oder später bei religiösen Fragen, über die so selbstverständlich und engagiert gesprochen wurde, wie ich es in Deutschland nie erlebt hatte, und gleichzeitig so kontrovers, wie ich es bei "den Moslems" nicht für möglich gehalten hätte. Jedenfalls war ich nach kurzer Zeit ziemlich verwirrt und hatte zugleich das Gefühl, dass ich mich intensiver mit dem Islam beschäftigen sollte. Meine Schwägerin gab mir "Al-Qur’an Al-Karim und seine ungefähre Bedeutung in deutscher Sprache", und ich fing an, darin zu lesen, was meine Verwirrung weiter verschärfte, weil der Text selbst in der Übersetzung noch diesen sonderbaren Sog entwickelte, der einen nicht mehr loslässt und den ich überhaupt nicht einordnen konnte. Als ich dann wieder in Deutschland war, habe ich erst mal einige Wochen lang ausschließlich Bücher zum Islam gelesen. Zu der Zeit traf ich dann auch einen marokkanischen Studenten, der mir empfohlen worden war, weil er sowohl perfekt Hocharabisch als auch Deutsch sprach, und nahm bei ihm einige Jahre lang privat Arabisch-Unterricht. Der hatte viele Freunde, die allesamt zu einer kleinen, frommen Studentengemeinde gehörten und mit denen ich viel Zeit verbracht und intensive Gespräche geführt habe – einschließlich wechselseitiger Einladungen während des Ramadans.

MM: Sie selbst waren in den 68ern noch sehr jung, dass Sie die Ereignisse nur vom Hörensagen bzw. Lesen kennen können. Die eine Figur in ihrem Roman verrät seine eigenen damaligen Ideale, um Karriere zu machen. Meinten sie damit bestimmte Personen?

Peters: Ich "meine" nie andere Personen, als die Figuren selbst. Ich würde im Falle Cismars auch nicht von einem "Verrat" sprechen – es ist mehr dieses schleichende Aus-dem-Blick-Verlieren dessen, was er ursprünglich aus seinem Leben machen wollte … Und das ist, glaube ich, ein kultur- und generationsübergreifendes Phänomen.

MM: Als fanatisierten Muslim stellen Sie einen ehemaligen deutschen Drogenabhängigen dar. Glauben Sie, dass das ein typischer Vertreter für das ist, was vermeintliche und echte Terroristen heutzutage darstellen?

Peters: Nein. - Ich fürchte, eines der Hauptmissverständnisse hinsichtlich des Romans ist, dass viele Leser denken, ich hätte einen typischen Islamisten beschreiben und dazu ein paar allgemeingültige sozio-psychologische Begründungen für ein verbreitetes oder gar "modisches" Phänomen liefern wollen. In gewisser Hinsicht ist das Gegenteil der Fall: Sawatzky ist ein radikaler Mensch und zwar von Anfang an, ganz gleich, ob er Drogen nimmt oder Gott sucht oder beschließt, im Namen des Islam zu leben, zu sterben und zu töten. Zugleich ist er dabei von großer gedanklicher Geradlinigkeit und Konsequenz - und da versucht der Roman - möglichst wertneutral - zu zeigen, dass der islamistische Terrorist weder ein tragischer Modernisierungsverlierer noch ein irrationaler Psychopath sein muss. Aber Sawatzky ist ein Einzelgänger – auch wenn es in der jüngeren Zeit ein paar Leute gegeben hat, die mit ähnlichem biographischen Hintergrund zu islamischen Terroristen geworden sind. Er gehört eher dem sehr europäischen Typus des zerquälten Sinnsuchers in der Tradition Dostojewskij’scher Figuren an, der nach der sowohl nihilistischen als auch tief mystischen Maxime lebt "freedom is just another word for nothing left to loose".

MM: Janis Joplin mag für Drogenabhängige ein Vorbild sein; Muslime hingegen glauben eher, dass Freiheit ein anderes Wort für die Ergebung in Gott ist, um alles zu gewinnen. Sind sie auch ein "Suchender"?

Peters: Ich bin kein großer Freund moralischer Schnellschüsse - weder wenn es um Drogenabhängige, noch wenn es um Muslime geht, deshalb würde ich diesen Satz auch ungern so leichtfertig abtun: Die Freiheit, die aus dem Bewusstsein entsteht, dass nichts mehr da ist, was man verlieren kann, setzt auf einer tieferen Ebene die Akzeptanz der Erkenntnis voraus, dass einem nichts in diesem Leben wirklich gehört, weder materiell noch geistig. Das ist zwar noch nicht identisch mit der Ergebung in den Willen Gottes, wohl aber eine unerlässliche Vorraussetzung dafür. Viele "Bekehrungs-Biographien", die in den unterschiedlichen Religionen überliefert werden, kennen ja diesen Tiefpunkt des totalen Gescheitert-Seins verbunden mit dem Zusammenbruch der "selbstgestrickten" Persönlichkeit, der den Menschen eben erst bereit macht für das göttliche Erbarmen und für die Anerkenntnis der absoluten Herrschaft Gottes über die innere und äußere Welt.

Ich selbst kann mich an keine Zeit meines Lebens erinnern, in der mich die Frage nach Gott nicht intensiv beschäftigt hätte. Diese Auseinandersetzung ist im Laufe der Jahre sehr unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Herangehensweisen gefolgt, teilweise stärker im Sinne vergleichender Religionswissenschaft, teilweise primär persönlich-existentiell. Bis jetzt ist diese Suche oder Forschung nicht abgeschlossen. Ob am Ende ein Ergebnis - und wenn ja welches stehen wird, ist ziemlich offen.   

MM: Einmal unabhängig von den Extremsituation und -personen in Ihrem Roman ist Ihnen sicherlich nicht entgangen, dass auch weniger "extreme" Muslime derzeit in Deutschland viele Probleme haben. Glauben Sie, dass die westliche Welt ihre eigenen Ideale verrät?

Peters: Ich glaube, dass man als religiöser Mensch, der Welt-Anschauung und Praxis seiner Religion für wahrer und wichtiger hält, als die Welterklärungsmodelle der jeweiligen öffentlichen Meinungsführer und die sinnstiftenden Angebote der Konsum- und Unterhaltungsindustrie in Westeuropa zwangsläufig Probleme hat. Dass die Muslime inzwischen für die Mehrheit der deutschen Gesellschaft unter dem Generalverdacht stehen, alle nur denkbaren Schreckensszenarien zu praktizieren oder zu planen, hat sicher extrem vielfältige Gründe, mit denen man Bücher füllen könnte… 

Grundsätzlich scheint mir, dass wir als „Westen“ einer selbst erzeugten Fehldeutung unserer eigenen geistigen Grundlagen aufsitzen: Wir meinen, mit unserem Modell einer toleranten, liberalen, offenen, freien Gesellschaft - und was der Selbstbeschreibungen so viele sind  - ein universell gültiges Metasystem gefunden und verwirklicht zu haben, unter dessen Dach all die "begrenzten" Weltdeutungssysteme wie Religionen, Gesellschaftstheorien u. ä. sie in unserer Interpretation darstellen, gleichberechtigt nebeneinander existieren können, vorausgesetzt, sie halten sich an ein paar fundamentale "Spielregeln", die nun aber ihrerseits – im Gegensatz zu den Spielregeln der verschiedenen Religionen, Ideologien und Utopien tatsächlich zeit- und kulturübergreifend Geltung haben. Ich glaube, es wäre intellektuell redlicher, zu sehen, dass auch unser Weltdeutungssystem nur eine Ideologie unter zahllosen Möglichen ist, sprich genauso relativ und bezweifelbar wie die, von denen wir verlangen, sie sollten sich - bitte schön - Lessings Ringparabel anschauen und ihren Absolutheitsanspruch aufgeben. Ich denke, es wäre der vielbeschworenen Vernunft gemäßer, wenn wir als Westen unser Denk- und Wertesystem für einen weiteren Ring hielten und nicht uns selbst für die Verkörperung Nathans, des Weisen. Ich glaube auch, dass wir in  der Tat erst dann die tolerante, im wahrsten Sinne des Wortes welt-offene Gesellschaft werden würden, die zu sein wir behaupten, wenn wir uns der Historizität und damit Bedingtheit unserer eigenen Ideen bewusst würden und dementsprechend nicht länger als Oberlehrer der Welt aufträten, der dann nebenbei auch noch den Polizisten gibt. Dass das passieren wird, halte ich allerdings für utopisch.

MM: Wie sind die bisherigen Reaktionen auf ihr Buch, geben Sie uns doch einige Beispiele?

Peters: Ich habe noch auf kein Buch so extrem verschiedene und zugleich heftige Reaktionen bekommen – sowohl aus meinem persönlichen Umfeld als auch seitens der Literaturkritik. Einige sagten, nachdem sie die Figur Sawatskys kennen gelernt hätten, sei ihnen zum ersten Mal klar geworden, wie so ein islamistischer Attentäter tatsächlich denken könne, vorher hätten sie den ganzen Islamismus einfach für kompletten Irrsinn gehalten. Andere sagten das Gegenteil: Sie verstünden nach der Lektüre nicht mehr als vorher. Einige haben sich geärgert, dass ich Sawatzky keinen kämpferischen Verfechter der Aufklärung gegenüber gestellt habe, der ihm mal so richtig die Leviten liest, und beweist, was für ein "Schmarrn" der ganze Islam(ismus) doch ist. Das fanden sie empörend, verantwortungslos, oder sie waren der Meinung, ich hätte damit eine Chance vertan. Viele Leute haben mir aber auch gesagt, nach der Lektüre seien sie lange sehr verunsichert, sogar verstört gewesen, weil sie nicht gewusst hätten, was sie denn nun denken, welche Schlüsse sie ziehen sollten. Die einen fanden Sawatzky als Islamisten klischeehaft, die anderen völlig untypisch, die nächsten extrem überzeugend oder beinahe schon gefährlich suggestiv. Und auf Cismar waren die Reaktionen ähnlich gespalten.

MM: Was ist ihr nächstes Projekt?

Peters: Das wird – zumindest auf den ersten Blick - etwas ganz anderes: Ein Roman, der in einem japanischen Restaurant am Rhein spielt und von einer Reihe tragikomischer Figuren bevölkert wird, die alle auf der Suche nach irgend etwas sind, aber nicht wissen, was es sein könnte, geschweige denn, wo sie es finden könnten – und so lange sich daran nichts ändert, in diesem Restaurant  arbeiten, essen, trinken, reden, lieben.

MM: Herr Peters, wir danken für das Interview.

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