Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Karl Höffkes
 

Muslim-Markt interviewt 
Karl Höffkes, Dokumentarfilmer und Historiker

25.6.2007

Karl Höffkes (Jahrgang 1954) hat nach seinem Studium Germanistik, Philosophie und Geschichte eine Berufslaufbahn als Dokumentarfilmer und Historiker eingeschlagen. Er ist Autor und Produzent zahlreicher Dokumentarfilme, darunter Berichte aus Libyen, dem Irak und Afghanistan. Er hat diese Länder selbst mehrfach und umfassend bereist.

So war er vor und nach dem letzten Krieg allein etwa zehn Mal im Irak und konnte sich so selbst ein Bild über die Veränderungen im Land machen, auch Afghanistan hat er allein in den letzten zwei Jahren dreimal bereist. Seine Filme sind inzwischen in zahlreichen Ländern als DVD erschienen und hunderttausendfach verkauft.

Karl Höffkes ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt im Großraum Münster.

MM: Sehr geehrter Herr Höffkes, als Dokumentarfilmer umfasst ihr umfangreiches Werk Hörbücher und Filme über die  deutsche Geschichte genau so wie über die islamische Welt. Haben Sie dabei einen roten Faden?

Höffkes: Der "rote Faden" ist die Suche nach der Wahrheit. Ich hatte schon immer den Drang, hinter die Kulissen der offiziellen Geschichtsschreibung zu blicken, um Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge zu erkennen. Wer nichts weiß, muss bekanntlich alles glauben. Ich will aber wissen und bilde mir daher gerne vor Ort meine eigene Meinung. Auf der geschichtlichen Ebene bin ich dabei immer auf der Suche nach bislang unbekannten Dokumenten, lebenden Zeitzeugen und unaufgearbeiteten Quellen. In der aktuellen Berichterstattung reise ich in die betreffenden Gebiete, um mir vor Ort ein Bild der Lage zu machen. Wer Afghanistan und den Irak intensiv bereist hat, weiß, dass die Darstellungen der westlichen Presse mit Vorsicht zu genießen sind.

MM: Was treibt einen Historiker und Dokumentarfilmer in so gefährliche Regionen wie das heutige Afghanistan oder Irak?

Höffkes: Gefährlich ist nur eines: die Dummheit. Ich plane meine Reisen in den Irak oder nach Afghanistan zusammen mit muslimischen Freunden vor Ort und niemals ist mir wirklich etwas zugestoßen. Ich wurde stets freundlich aufgenommen, von Hand zu Hand weitergegeben und mit ausgesprochener Höflichkeit und herzlicher Gastfreundschaft behandelt. Bei meinem Reisen konnte ich mit vielen Menschen der verschiedensten sozialen Gruppen sprechen; ich durfte ihre Lebenswirklichkeit vor Ort kennen lernen und kann deshalb halbwegs nachempfinden, wie sich die Menschen im heutigen Irak und in Afghanistan fühlen. Das hat mit dem, was uns die Presse hier vermitteln will, oft herzlich wenig zu tun.

MM: Nun gelten Sie ja auch in anderen Bereichen nicht gerade als Vertreter einer Mains-Stream-Meinung. So sollen Sie sich u.a. gegen die Völkermord-These der Armenier gestellt haben; warum?

Höffkes: Das ist so nicht richtig. Ich habe mich lediglich dafür ausgesprochen, die historischen Hintergründe dieses Geschehens exakter zu untersuchen, als es bislang geschehen ist. Wenn ich die bislang vorgelegten Deutungsversuche richtig interpretiere, habe ich den Eindruck, dass versucht wird, uns Deutschen eine Mitschuld zu geben, weil deutsche Militärs und Diplomaten die Türken zum Vorgehen gegen die Armenier ermuntert hätten. Das ist mir, wie so vieles in der modernen Geschichtsschreibung, zu kurz gegriffen. Ich halte mich aber in dieser Frage für keinen ausgewiesenen Fachmann und habe daher auch bei meinen Gesprächen in der Türkei stets für eine unabhängige Historikerkommission plädiert, die die damaligen Geschehnisse objektiv untersuchen sollte.

Dass ich in anderen Bereichen oft nicht die gängige „Main-Stream-Meinung“ vertrete, ist richtig. Da ich aber bestrebt bin, meine Filme sachlich zu gestalten, habe ich mit dieser Position kein Problem.

Mein Ansatz, ein geschichtliches Ereignis durch Darstellung der Hintergründe „verstehen zu wollen“, wird von manchen gleichgesetzt mit „Verständnis haben“. Das ist aber ein böswillige Unterstellung: Ich habe für viele Ereignisse, auch in der jüngeren deutschen Politik, die ich nach langen Recherchen in ihrer Entwicklung zu verstehen glaube, durchaus kein Verständnis.

MM: Gibt es denn auch Ereignisse in der Gegenwart, für die Sie kein Verständnis haben, oder anders ausgedrückt, für die Ihrer Meinung nach Historiker in Zukunft rückblickend kein Verständnis haben sollten?

Höffkes: Wer kann Verständnis dafür haben, dass immer noch Millionen Menschen auf der Welt hungern und ohne ausreichende medizinische Versorgung leben müssen? Wer kann Verständnis dafür haben, dass Bürgerkriege geduldet und von dritter Seite finanziert werden, um möglichst ungestört Diamanten und Rohstoffe fördern zu können? Wer kann Verständnis dafür haben, dass Menschen wegen ihrer Rasse, ihrer Religion oder ihrer politischen Überzeugung verfolgt und ermordet werden? Die Politiker sprechen gerne und viel von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten, doch die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Ich habe während des Embargos gegen den Irak Kinder in irakischen Kliniken gefilmt, die unter unvorstellbaren Schmerzen an Krankheiten gestorben sind, die ohne Probleme hätten geheilt werden können. Nur weil die Verantwortlichen die Lieferung der entsprechenden Medikamente untersagten, (z.B. „Pentostam“) mussten diese irakischen Kinder sterben. Kinder, die oft noch so klein waren, dass sie nicht einmal den Namen Saddam Hussein kannten.

Die Liste ließe sich problemlos endlos verlängern. Ich zweifele keinen Augenblick, dass kommende Generationen später auch an uns die Frage stellen werden: "Warum habt ihr euch nicht dagegen gewehrt?"

MM: Was halten Sie als Historiker von der Idee in Europa die verbale Leugnung bzw. Relativierung von Völkermord? unter Strafe zu stellen, was ja im Zusammenhang mit der Geschichte der Armenier in der Türkei aufgeworfen wurde.

Höffkes: Ich glaube nicht, dass juristische Vorgaben diejenigen disziplinieren, die aus welchen Gründen auch immer bestimmte historische Gegebenheiten anzweifeln. Damit schafft man nur eine Grauzone, in der um so hartnäckiger Zweifel gestreut und gepflegt werden. Grundsätzlich gilt: Die Wissenschaft, und dazu zählt auch die Geschichtsforschung, darf kein Anhängsel der Tagespolitik sein und den jeweilig herrschenden politischen Vorgaben unterworfen werden. In der Vergangenheit haben viele Nationen anderen Menschen unsägliches Leid zugefügt. Diese Schuld muss von den Verantwortlichen anerkannt und als stete Mahnung für ein besseres Miteinander gesehen werden. Nur wenn wir aus der Geschichte lernen, kann die gemeinsame Zukunft friedlich gestaltet werden.

MM: Eines Ihrer jüngste Filmprojekte heißt "Massaker" und handelt über Sabra und Schatilla. Es kann sicherlich als eher ungewöhnliches Projekt bezeichnet werden. Worum geht es darin und wie kamen Sie dazu?

Höffkes: Der Film selbst stammt nicht von mir. Ich habe den Film vor einiger Zeit auf einem Festival im Ausland gesehen und war so betroffen, dass ich mich bemüht habe, die Rechte für eine DVD-Veröffentlichung in Deutschland zu bekommen. Da wir zuvor schon den international mehrfach ausgezeichneten Film "Checkpoint" als DVD veröffentlicht haben, der in dramatischer Weise die alltäglichen Lebensumstände der palästinensischen Zivilbevölkerung dokumentiert, wollte ich unbedingt auch "Massaker" für das deutsche Publikum zugängig machen. Mir geht es dabei keineswegs um eine Pauschalanklage gegen Israel. Pauschalurteile helfen niemals weiter. Ich möchte der deutschen Öffentlichkeit lediglich zeigen, wie sich das Leben in Palästina wirklich abspielt und dass kein Friede entstehen kann, solange diese menschenunwürdige Situation so ist, wie sie ist. Ich würde das Thema auch aufgreifen, wenn ein anderes Volk unter derartig entwürdigenden Umständen sein Leben fristen müsste.

MM: Warum haben sie den Ton der zugleich Täter und Zeugen im Original-Arabisch  - teilweise mit extremen libanesischen Akzent -  belassen und deutsch untertitelt?

Höffkes: Das war eine Entscheidung der Produktionsfirma, die ich aber mittrage. Das mag nicht jedem gefallen, ich selbst finde, dass die Schilderung der damaligen Ereignisse durch die Täter in ihrer eigenen Sprache an Intensität und Authentizität gewinnt.

MM: Ist es für einen deutschen Historiker nicht ein besonders sensibles Thema, Israel zu kritisieren, und sei es nur indirekt?

Höffkes: Kritik ist immer ein sensibles Feld. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich kritisiere nicht Israel, weil es sich um Israel handelt. Ich kritisiere explizit menschenunwürdige Maßnahmen, die eine Nation gegen eine andere Nation durchführt. Das ist etwas grundsätzlich anderes. Wären die Rollen vertauscht, würde ich gleichermaßen kritisch reagieren. Mir geht es immer um konkrete Inhalte, nicht um pauschale Kritik an bestimmten Nationen.

MM: In wenigen Wochen wollen Sie "Loose Change" als DVD auf den Markt bringen; dem am meisten aus dem Internet herunter geladene Film über die Vorgänge vom 9.11., in der die Rolle der US-Politik höchst kritisch beurteilt wird. Sind Sie ein Verschwörungstheoretiker?

Höffkes: Ein beliebtes und außerordentlich wirksames Etikett, um eine unpopuläre Ansicht zu diskreditieren. Ich bin allerdings der Ansicht, dass genau andersherum ein Schuh daraus wird: Als Verschwörungstheoretiker müssen meiner Meinung nach diejenigen angesehen werden, die bei den Ereignisse vom 9.11. eine muslimische Verschwörung am Werk sehen und daraus eine Bedrohung der westlichen Welt herleiten, obwohl viele Fragen bis heute ungeklärt sind. Wer bemüht ist, diese Fragen sachlich und möglichst umfassend zu klären, hat mit Verschwörungstheorien nichts zu tun.

MM: Und dann wollen Sie auch noch ein Hörbuch des ehemaligen SPD-Abgeordneten von Bülow über die Rolle des CIA und den versuch, den Islam zum neuen Gegner der "freien Welt" hochzustilisieren veröffentlichen. Haben Sie kein Angst vor dem Islam und den Muslimen?

Höffkes: Warum sollte ich? Ich habe viel Zeit meines Lebens in muslimischen Ländern zugebracht und bei diesen Reisen viele Menschen unterschiedlichster Art kennen gelernt; daraus sind viele persönliche Freundschaften entstanden, die bis heute Bestand haben. In jedem Land gibt es freundliche und unfreundliche Menschen, das hat nichts mit der jeweiligen Religion zu tun. Solange jede Seite bereit ist, den Glauben der anderen Seite zu akzeptieren, sollten wir uns gemeinsam anderen Problemen zuwenden, als uns gegeneinander aufhetzen zu lassen. Nur gemeinsam und im Respekt vor dem jeweils anderen können wir die vor uns liegenden Probleme lösen.

MM: Glauben Sie, dass Dokumentarfilmer auch zum Frieden beitragen können?

Höffkes: Sagen wir es so: Ich gebe die Hoffnung nie ganz auf. Als der Krieg im Irak begann, wurde ich vom ZDF eingeladen, bei einer großen Fernseh-Spendenaktion für die irakische Zivilbevölkerung live über meine Erfahrungen im Irak zu berichten. Während der Sendung wurden auch Bilder aus meinen Filmen eingespielt. Die Spendenbereitschaft der Deutschen war damals außerordentlich groß. Wenn ich ein bisschen mitgeholfen habe, die Menschen zu sensibilisieren, dem irakischen Volk humanitäre Hilfe zu leisten, bin ich für meinen Teil zufrieden.

MM: Welche zukünftigen Projekte haben sie noch geplant?

Höffkes: Zurzeit arbeite ich an einem Dokumentarfilm über einen deutschen Chirurgen, der während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich und Russland im Einsatz war. Er hat während der gesamten Kriegszeit mit einer Schmalfilmkamera die Ereignisse an den Fronten und in den Lazaretten gedreht. Diese Filme habe ich vor kurzem von den Familienangehörigen erhalten. Sie bieten einen ganz ungewöhnlichen Blick auf die damaligen historischen Abläufe. Die nächste Reise geht nach Afghanistan. Ich muss noch einige Szenen drehen, ehe ich an den Endschnitt für einen Dokumentarfilm über Afghanistan gehen kann. Daneben beschäftigt mich das Thema „Internetfernsehen“. Da ich ein umfangreiches Archiv mit privat gedrehten historischen Filmaufnahmen besitze, scheint mir ein Internetfernsehender die adäquate Plattform zu sein, um diese Aufnahmen einer interessierten Öffentlichkeit vorzustellen.

MM: Herr Höffkes, wir danken für das Interview.

 

Links zum Thema

 

Senden Sie e-Mails mit Fragen oder Kommentaren zu dieser Website an: info@muslim-markt.de 
Copyright © seit 1999 Muslim-Markt