Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Volker Taher Neef
 

Muslim-Markt interviewt 
Volker-Taher Neef, Redakteur bei islam.de für Politik und Gesellschaft

8.10.2007

Volker-Taher Neef (geb. 1957 in Westfalen) hat nach seinem Realschulabschluss eine kaufmännische Lehre absolviert. Seinen anschließenden Wehrdienst absolvierte er bei der Luftwaffe und wurde nach mehreren Wehrüberungen Unteroffizier der Reserve.

Ab 1982 folgte ein Studium der Volkswirtschaftslehre in Hamburg zum Diplom-Volkswirt. Während des Studiums arbeitete er als studentische Hilfskraft beim Norddeutschen Rundfunk und legte dort die Grundlage für seine später Pressearbeit. Es folge die Tätigkeit als Assistent der Geschäftsführung bei einem dänischen Landmaschinenhersteller in Schleswig-Holstein. Seit 1988 arbeitet er in Berlin im Landesdienst, zuletzt als Landesverwaltung für Justiz, Europa- u. Bundesangelegenheiten. Im Januar 1999 nahm er den Islam an und gab sich zusätzlich den Namen "Taher" (der Reine). 2001 folgte die Pilgerfahrt (Hadsch). Ab 2004 bis zur Schließung der "Berliner Moschee" in 2007 war er  Gemeindevorsteher und Pressesprecher darin. Seither ist er Redakteur für "Politik und Gesellschaft" der Internetpräsent "islam.de" in Berlin. Neef ist Mitglied der Islamischen Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime Berlin e.V., arbeitet dabei im  "Arbeitskreis Kirche und Religion" Gestaltung und bei der Moderation der Sendung "Worte zum Tage" beim Deutschlandradio. Seit der Gründung des interfraktionellen Arbeitskreises "Islam" im Deutschen Bundestag berät er das Büro eines FDP-Bundestagsabgeordneten in Fragen zum Islam.

Volker-Taher Neef ist verheiratet, hat ein Kind und lebt in Berlin.

MM: Sehr geehrter Volker-Taher Neef, was hat sie zum Islam gezogen?

Neef: Ich habe als Student in Hamburg in einem Altbau gewohnt. Meine Nachbarn waren Tunesier. Er war Hafenarbeiter, sie arbeitete in einer Kantine. Diese Nachbarn haben mir einen sehr volksnahen Islam vorgeführt. Oft haben wir nächtelang in der Wohnung geredet, und der Student schätzte die Kochkünste von Fathma. Nicht den ISLAM, den Professoren und Doktoren erklären können, weil sie ihn studiert haben, sondern einen Islam, wie er im Dorfe gelebt wird, hat man mir in der Altbauwohnung dargestellt. Das Paar ist längst nach Tunesien zurückgekehrt. Bis heute halte ich Kontakt, einschließlich Besuch in Tunesien, zu ihnen. Durch meine Nachbarn angeregt, las ich den Koran. Bis heute können sie sich nicht vorstellen, dass man so irrsinnig sein kann und für Attentate so eine friedliche Religion missbrauchen kann.

MM: Wie hat ihr deutsches Umfeld auf Ihre Entwicklung reagiert?

Neef: Die haben es einfach nur zur Kenntnisse genommen. Ich komme aus Westfalen, da hat jeder eine Religion. Dort fällt man nur besonders auf, wenn man an nichts glaubt. Durch den Bergbau bedingt ,waren viele türkisch-muslimische Arbeitnehmer schon vor Jahren im Ruhrgebiet angekommen. Der Islam ist dort nicht so exotisch wie in einer bäuerlich geprägten Gegend. Dort ist in manchen Gegenden der Protestant bis heute im katholischen Münsterland ein Exot.

MM: Wie kam es zu dem Zusatznamen Taher?

Neef: Der Opa meines tunesischen Freundes hieß so. Als ich ihn besuchte und ihm viele Fragen zum Islam stellte, die er aus Sicht eines muslimischen Landwirtes alle beantwortete, sagte er, wenn Dir eines Tages - Inschaallah (so Gott will) - der Islam gefällt, dann nimm meinen Namen an. So haben wir eine Verbindung. Mein tunesischer Freund übersetzte alles. Besonders angenehm war, das man jede Frage stellen konnte. Ich habe viel später oft erlebt, dass Besucher bei einer Moscheeführung sich nicht trauten, sei es aus Höflichkeit, Ehrfurcht oder sonstigen Gründen, alles zu fragen. Diese Hemmschwelle darf es nicht geben. Wenn jemand sich in einer Moschee nicht frei fühlt, alles zu fragen, dann ist ein Besuch dort nicht vollkommen.

MM: Die besondere Spezies der "Konvertiten zum Islam" waren zuletzt oft in den Medien. Haben Sie auch Angst vor sich?

Neef: Hoffentlich ist das eine Momenterscheinung, die sich wieder beruhigt. Wie nennt man eigentlich Parteiwechsler? Ist der Herr Bundestagsabgeordnete Schilly, Bundesminister des Inneren a.D., nicht zuerst in der SPD gewesen? Dann MdB bei den Grünen? Dann wieder SPD. Ist er ein Kon.. oder wie heißen dies Wechsler von Parteibüchern? Gilt das Wort nur für religiöse Übertritte? Wie heißen die Leute, die nie eine Religion bis vor kurzem hatten und jetzt eine Religion angenommen haben. Nur "vertiten", weil "Kon" geht nicht? Gerade in Berlin erlebe ich es, dass Menschen aus der alten DDR sich jetzt für eine Religion entschieden haben. Seit Geburt hatten sie keine. Ihre Eltern, teilweise Großeltern, auch nicht.

MM: Was ist der interfraktionellen Arbeitskreises "Islam" im Deutschen Bundestag?

Neef: Hier muss ich den sehr jungen FDP-MdB Hartfrid Wolff (Jg. 71) loben. Er besuchte einmal eine Moschee. Dort lernten Br. Herzog und ich ihn näher kennen. Alle im Bundestag vertretenen Parteien haben religionspolitische Sprecher. Hat der Islam ein Anliegen, muss man einen Termin bei Herrn Mitglied des Bundestages (MdB) X und bei Frau MdB Y ergattern. Jetzt kommen alle Fraktionen zu einem Gespräch zusammen. Jede Fraktion hat muslimische Experten oder Islamexperten benannt. Ein großer Vorteil ist darin gelegen, dass man nicht immer bei Null anfängt. So haben wir es innerhalb der FDP-Fraktion erlebt, dass ein für Islamfragen verantwortlicher MdB 2005 nicht wieder ins Parlament gewählt wurde. Der neue Sprecher musste sich erst einarbeiten. Die Wahrscheinlichkeit, dass alle dem Arbeitskreis angehörenden MdBs nicht wieder ins Parlament kommen bei der nächsten Wahl, ist ja sehr gering. Dort gibt es in geschlossener, nichtöffentlicher Runde keine Tabus. So hat ein MdB der Grünen von den Muslimen gefordert, die Spendengelder für Neubauten von Moscheen offen zu legen. Das hat bei dem Berliner Imam Br. Herzog zu der Bemerkung geführt, ob das auch für christliche Gebäude gelte. So für Kirchen der Mormonen, die stark von ihren Geschwistern aus den USA unterstützt werden. Oder für die Dresdner Frauenkirche. Als das betreffende MdB das nur für Moscheen und den Islam wollte, kam die Frage nach der Gleichbehandlung auf.

So fordert uns die Politik auch auf, den Hinterhof zu verlassen und sich zu öffnen. Wollen die Muslime Moscheen bauen und den Hinterhof verlassen, ist es auch nicht recht. Es soll ja sogar Ministerpräsidenten geben, die noch im Amt sind und darauf achten, dass Minarette auf keinen Fall höher als Kirchtürme sind. So wurde auch die Bezahlung der Imame angesprochen. Viele Politiker, auch Muslime, wollen nicht, dass ein Imam direkt aus der Türkei oder Saudi-Arabien oder sonstwo bezahlt wird. Die Gegenfrage aller Experten war, wer bildet in Deutschland genügend Imame an den Unis aus ?

Dann immer wieder das heikle Thema Geld. Eine Bezahlung aus dem Ausland für Imame kann ein Parlamentarier schnell ablehnen. Wer zahlt den Imam dann? Die kleine Gemeinde? Oder der Staat? Kommt dann - analog Kirchensteuer - eine Moscheesteuer?

Wir treffen uns regelmäßig, weil es viel Gesprächsbedarf gibt. Der Islam ist nicht mehr die Religion allein für türkische Gastarbeiter und arabische Studenten. Wir beide, Br. Herzog und ich, werden nicht müde, den Politikern und der Gesellschaft mitzuteilen, wir haben weder eine albanische Oma noch einen pakistanischen Großvater.

MM: Sie unterstützen über einen Abgeordneten die FDP-Fraktion bei dieser Arbeit. Hat jede Bundestagsfraktion einen "Konvertiten", der sie dabei unterstützt?

Neef: Die Fraktionen benennen ihre Experten. Bei den Grünen ist es zum Beispiel eine Frau, die weder Muslima von Geburt an noch Konvertitin ist. Sie ist Islamwissenschaftlerin. Da gibt es im Arbeitskreis (AK) so genannte geborene Muslime, Konvertiten, Islamwissenschaftler. Damit ist auch dafür gesorgt, dass keine Einseitigkeit aufkommt.

Meine Hochachtung gilt in diesem Fall der FDP. Keiner der von der FDP benannten Experten, also weder Br. Herzog noch ich, gehören der FDP an. Der uns in den AK benannte Verantwortliche sagte, das spiele für einen Liberalen keine Rolle. Man wolle seitens der FDP Sachverstand, keinen Parteibuch-Delegierten.

MM: Worin besteht ihre Arbeit darin?

Neef: Im AK nehme ich aktiv teil. Ich bin für ein offenes Wort bekannt. Es wird von allen Seiten gut ausgeteilt. Wir Experten stecken ein und teilen aus. Das ist tabufreie Zone. Bei aller Bescheidenheit, denn Begriff tabufreie Zone stammt von mir. Keiner von uns geht da hin zum Kaffeetrinken. Manchem MdB klingelten die Ohren, manchem Experten auch. Bei einigen Themen haben alle Teilnehmer sich vereinbart, bis zu einer Lösung nicht öffentlich über alles zu reden. Fällt mir als Redakteur schwer, aber ich halte mich daran.

MM: Kommen wir nun zu der Berliner Moschee, in dessen Vorstand Sie waren. Warum musste die älteste Moschee Deutschlands geschlossen werden?

Neef: Bei der Berliner Moschee sind vor allem zunächst Baugründe zu nennen. Obwohl die Moschee von außen einen ansehnlichen Eindruck macht, ist ein gewisser Sanierungsbedarf gegeben. Die Moschee steht seit Anfang der 90 er Jahre unter Denkmalschutz. Seitens des Landesdenkmalamtes finden umfangreiche Sanierungsmaßnahmen statt. Bei der Größe des Gebäudes und aufgrund zahlreicher Arbeiten erstrecken sich die Bauarbeiten über einen so langen Zeitraum, dass man noch nicht genau abschätzen kann, wann diese beendet sein werden.

So manches wird allerdings auch nicht innerhalb von Deutschland entschieden, was bei jener Moschee historisch begründet ist. Oft wünschen wir deutschen Muslime uns kürzere Entscheidungswege, als über den halben Erdball.

MM: Daraufhin wechselten Sie zu islam.de. Worin besteht Ihre Arbeit dort?

Neef: Es handelt sich vor allem um eine redaktionelle Arbeit für die Internetpräsenz und Drumherum. So leite ich die Informationen um islamische Aktivitäten weiter an interessierte Geschwister und koordiniere Treffen usw.

MM: Ist es erlaubt danach zu fragen, wovon Sie und islam.de finanziert werden?

Neef: Die Arbeit bei islam.de ist rein ehrenamtlich. Ich selbst bin im Landesdienst tätig. Es wäre zwar wünschenswert, dass bestimmte Strukturen der Muslime auch durch diese getragen werden - ich denke da z.B. an die Vorsitzenden des Zentralrats und ähnliche Aufgaben, aber noch sind die Muslime in Deutschland sehr stark von ehrenamtlicher Arbeit abhängig. Gott sei Dank gibt es aber auch viele Geschwister, die das gerne tun.

MM: Abschließende Frage: Sie sind selbst Vater eins Kindes. Was wünschen Sie sich in Deutschland für Ihr Kind, was Sie möglicherweise nicht mehr miterleben werden?

Neef: Mein Wunsch wäre, wenn mein Sohn in einer Umgebung leben könnte, in der Juden, Christen und Muslime gleichberechtigt also mit gleichen Rechten aber auch mit gleicher Verantwortung die Gesellschaft mitgestalten und sich einbringen können. Es wäre so schön, wenn zumindest er miterleben könnte, wie ein muslimischer Kindergarten genau so "normal" wäre, wie ein jüdischer oder christlicher Kindergarten, oder auch eine Schule oder Krankenhaus. Und wenn dann eines Tages eine Fahrkartenkontrolleurin in der Berliner U-Bahn mit Kopftuch als Kontrolleurin höflich nach meinem Fahrausweis fragt, dann würden viele verkrampfte Situationen von heute - Inschaallah - überwinden sein. Kürzlich war ich in London. Am Flughafen wurde ich bei der Einreise mit einem freundlichen "Welcome, Sir. Passport, please Sir" von einem Grenzbeamten begrüßt, der einen weißen Turban trug und klar als Angehöriger der Sikh-Religion zu erkennen war. Bei der Ausreise kontrollierte eine kopftuchtragende Muslima das Gepäck. Diesen Normalzustand im Mutterland der Demokratie, wo die Bill of Rights entstanden, wünsche ich mir auch in Deutschland. Ein britischer Kollege sagte einmal, dass es nicht darauf ankomme in Großbritannien, was der Bedienstete ihrer Majestät auf dem Kopf habe, sondern es sei viel wichtiger, was der Bedienstete ihrer Majestät im Kopf habe. Was schon seit langem im EU-Land Großbritannien möglich ist, wünsche ich mir für die Zukunft in Deutschland; bekanntlich auch ein EU-Land.

Und das alles wünsche ich mir übrigens nicht nur für Deutschland, sondern auch für den Nahen Osten und auch viele muslimische Länder; einfach der menschenwürdige Umgang miteinander nicht "trotz" unterschiedlicher Religionen, sondern gerade deswegen!

MM: Sehr geehrter Volker-Taher Neef, wir danken für das Interview.

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