Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Jürgen Elsässer
 

Muslim-Markt interviewt
Jürgen Elsässer, Autor des Buches "Terrorziel Europa: Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste" mit Vorabdruck

9.9.2008

Jürgen Elsässer (Jahrgang 1957) ist Journalist und Autor von knapp 20 Büchern, vor allem über die deutsche Außenpolitik, darunter auch Vieles, was Muslime direkt betrifft. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt.

Nach seinem Abitur in Pforzheim (Notendurchschnitt 1,4) und Studium war er als Lehrer in Baden-Württemberg berufstätig. Damals war er, wie etwa der spätere Bundesminister Jürgen Trittin,  Mitglied des Kommunistischen Bundes (KB). Im Jahr 1994 gab er seine Tätigkeit im Staatsdienst auf, ging nach Berlin und wurde leitender Redakteur der Tageszeitung "junge Welt". Nach Konflikten mit der Geschäftsleitung wurden die meisten Redakteure, darunter auch Elsässer, im Frühsommer 1997 gekündigt und gründeten die Wochenzeitung "Jungle World".  Daher wird Elsässer zuweilen als Gründungsfigur der so genannten Antideutschen vorgestellt, hat sich nach eigenem Bekunden mittlerweile allerdings weiter entwickelt und vertritt heute vor allem antiimperialistische Positionen. Unter anderem deswegen wurde er zu Anfang des Jahrtausends aus dem Herausgeberkreis der Jungle World ausgeschlossen.

Im April 1999 wurde Elsässer Redakteur bei dem Magazin "konkret" und schrieb außerdem regelmäßig unter anderem für die "Allgemeine Jüdische Wochenzeitung" und das "Kursbuch". Nach eigenen Angaben wurde er, weil er strikt gegen den Irak-Krieg war, zum  Jahresende 2002 von KONKRET-Herausgeber als Redakteur gekündigt. Das Angebot, als freier Autor für KONKRET weiterzuschreiben, lehnte er ab: Er wollte nicht das "Feigenblatt der Kriegstreiber" sein. Stattdessen kehrte Elsässer zur "jungen Welt" zurück, deren ständiger Mitarbeiter er über fünf Jahre lang blieb.

Seit Anfang April 2008 arbeitet Elsässer für die Tageszeitung "Neues Deutschland", die fast die dreifache Auflage der "jungen Welt" hat, und er schreibt darüber hinaus für die periodischen Publikationen "Zeit-Fragen" und "Freitag".

Elsässer ist verheiratet und lebt im Großraum Berlin.

MM: Herr Elsässer, erlauben Sie zunächst eine Einstiegsfrage in etwas jüngere Jahre: Wie kommt ein verbeamteter Lehrer mit einem sicheren Beruf dazu, den Job an den Nagel zu hängen und Redakteur bei einer Zeitung zu werden, bei der weder das Gehalt noch die Zukunftsaussichten gesichert sind?

Elsässer: Der Lehrerberuf ist sicher, aber man kann auch aus Langeweile sterben. Ich entschied mich für das Abenteuer.

MM: Sie haben einst bei Zeitungen gearbeitet, die auch gerne verbal gegen den Muslim-Markt "geschossen" haben. Befürchten Sie nicht nach diesem Interview, dass man Ihnen vorwirft mit "Islamisten" zu paktieren, wie man Ihnen ja auch schon vorgeworfen hat, Rechtsradikalen ein Interview gegeben zu haben?

Elsässer: Eine einzige rechtsradikale Zeitung hat mich mal zum Interview getrickst, indem sie mir verschwiegen haben, dass es ein rechtsradikales Blatt ist. Da es eine französische Zeitung war und noch gar nicht auf dem Markt war, konnte ich den Trick nicht durchschauen. Hätte ich es gewusst, hätte ich das Interview nicht gegeben. Aber ansonsten heißt meine Devise: Ich gebe besonders gerne dort Interviews, wo die Leute anderer Meinung als ich sind. Das fördert den Dialog. Die räuberische Globalisierung kann nur gestoppt werden, wenn linke Sozialkritik und konservative Werteverteidigung - darunter rechne ich auch die Werte Ihrer Religion - im streitbaren Dialog zusammenfinden.

MM: Will man sich im Internet über ihre Person informieren, dann könnte man zu dem Schluss kommen, dass sie ein Antideutscher waren, der gegen Antisemitismus war, und dass Sie jetzt gegen Antideutsche sind und antikapitalistisches und antiimperialistisches Gedankegut vertritt und daher auch anti-Irakkrieg ist, weil er schon immer ein Antifaschist war. Gibt es auch etwas "für" das sie sind?

Elsässer: Ich bin Romantiker und glaube an das Gute im Menschen. Das kann aber erst zum Tragen kommen, wenn das Profitprinzip die Leute nicht immer gegeneinander hetzt. Also muss der Kapitalismus Zug um Zug abgebaut werden. Ein Sozialismus mit menschlichem Gesicht bleibt mein Ziel. Dieses menschliche Gesicht schließt den Respekt vor den religiösen Traditionen ein, der in der Vergangenheit von den Kommunisten oft sträflich vernachlässigt wurde.

MM: Kommen wir zu Ihrer Buchveröffentlichung "Wie der Dschihad nach Europa kam". Warum kam der "Dschihad" nach Europa und wer oder was ist "der Dschihad", den Sie meinen?

Elsässer: Ich habe das Wort "Dschihad" im populär-westlichen Sinne verwendet, was vermutlich angreifbar ist. In meinen Büchern habe ich aber deutlich gemacht, dass ich darunter nicht den Einsatz für den islamischen Glauben verstehe, sondern nur dessen terroristische Abart. Und die kam über den bosnischen Bürgerkrieg 1992–1995 nach Europa, der wie der afghanische in den achtziger Jahren gekennzeichnet war durch ein Bündnis von CIA und Al Qaida. (Das Buch "Wie der Dschihad nach Europa kam" ist übrigens auch auf türkisch erhältlich, siehe unten).

MM: Und warum ist George W. Bush ein Kriegstreiber, womöglich mitschuld am 11.9. und Sie kein "Verschwörungstheoretiker"?

Elsässer: Ach, das muss ich Ihren Lesern doch nicht erklären, das weiß doch jedes Kind. Wer heutzutage keine antiamerikanischen Reflexe hat, ist entweder hirntot oder gekauft. Wobei ich unter Antiamerikanismus nicht die Feindschaft gegenüber den Amerikanern verstehe, sondern gegenüber den Amerikanisten – denjenigen, die die Welt diktatorisch nach ihrem Vorbild formen wollen. Der normale Ami ist gutmütig.

MM: Welcher Zusammenhang besteht Ihrer Meinung nach zwischen dem Balkankrieg und dem 11.9.2001?

Elsässer: Fünf der sieben Personen im Zentrum des 9/11-Plots, darunter die zwei sogenannten Masterminds Ramzi Binalshibh und Khaled Sheikh Mohamed, haben auf dem Balkan gekämpft – und haben unklare Verbindungen zu US-Diensten.

MM: Ihr neustes Buch "Terrorziel Europa: Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste" soll ausgerechnet am 11.92008 erscheinen. Ist das ein PR-Gag oder hat es auch mit dem Inhalt des Buches zu tun?

Elsässer: Das Buch weist nach, dass an allen "islamistischen" Anschlägen und Anschlagsversuchen seit Mitte der 90er Jahre V-Leute und Maulwürfe der Sicherheitsdienste beteiligt waren. Eine in dieser Form einzigartige Enzyklopädie! Ein Kapitel behandelt die "Hamburger Zelle", die bei 9/11 mitgemischt hat, also den grade erwähnten Binalshibh und Mohammed Atta.

MM: Warum wollen Ihrer Meinung nach einige westliche Geheimdienste die Welt in einen grausamen Weltkrieg stürzen? Sind Schlapphüte denn keine Familienväter, die auch Frieden wollen?

Elsässer: Die Neokonservative Gang – Cheyney, Rumsfeld, Wolfowitz, die ganzen Berater rund um McCain – sind gefährliche Irre. Vermutlich sind sie schizophren: Liebe Familienväter am Abend und am Wochenende, tagsüber ansonsten geopolitische Pyromanen. War ja bei den Nazis nicht anders: Ausschwitz-Kommandant Höss soll abends ein Gemüts- und Kulturmensch gewesen sein. Tagsüber ließ er Juden vergasen.

MM: Haben Ihre Buchthesen etwas mit Ihrer früheren Veröffentlichung zum "Angriff der Heuschrecken" zu tun?

Elsässer: Die "Heuschrecken" sind ein Buch, das die Welt erklärt. "Dschihad" und "Terrorziel Europa" sind eher wie Kriminalromane, allerdings auf der Grundlage von Fakten, nicht wie Fiktionen.

MM: Bezüglich Deutschland warnen Sie, dass Deutschland auf dem Weg in eine Notstandsdiktatur sei. Was ist das und wer würde davon profitieren?

Elsässer: Habe ich in "Terrorziel Europa" ausführlich dargestellt. Die CDU/CSU-Hardliner um Schäuble wollen einen Nationalen Sicherheitsrat nach US-Vorbild, der im Krisenfall das Parlament ersetzt. Der Clou: Den Krisenfall wird Schäuble selbst ausrufen, indem er einen "unmittelbar bevorstehenden Terrorangriff" zusammenphantasiert und zum Beweis irgendwelche Desperados verhaftet.

MM: Was kann denn Ihrer Meinung nach getan werden, damit dem von Ihnen prognostizierten Unheil entgegen gewirkt werden kann?

Elsässer: Neocons und andere Rassisten wollen einen Kampf der Kulturen hochziehen, als Kulisse für ihren Weltkrieg. Sie machen die Leute verrückt, auch hierzulande. Mittlerweile haben die Moslems Angst vor den alteingesessenen Deutschen – und umgekehrt gilt dasselbe! Deswegen brauchen wir in Deutschland schnell eine Art zivilgesellschaftliche Übereinkunft, die den Moslems die Angst vor Unterdrückung und den Deutschen die Angst vor Überfremdung nimmt. Das Recht zum Moscheebau einerseits, aber mit einer klaren Obergrenze andererseits könnte die Luft rauslassen, die die Brandstifter zur Anfachung ihres Feuers brauchen.

MM: Herr Elsässer, wir danken für das Interview.

Links zum Thema

Terrorhysterie und Putschgefahr

Vorabdruck aus Jürgen Elsässers Buch "Terrorziel Europa" (ab 11. September 2008 im Buchhandel)*

Al Qaida hat die Atombombe. Anhänger von Osama bin Laden haben sie aus hochangereichertem Uran zusammengebaut, das sie sich aus dem weißrussischen Forschungsreaktor Sosny besorgt hatten. Auch das Anschlagsziel ist schon klar: das NATO-Hauptquartier in Brüssel. Kommt Allahs Höllenfeuer über die belgische Metropole, werden die Folgen schrecklich sein: 40 000 Tote und 300 000 Verwundete. Bei entsprechender Windrichtung zieht die radioaktive

Wolke Richtung Duisburg und Hannover. Eine halbe Million Menschen flieht in panischer Angst vor dem tödlichen Fall-out – ein Albtraum. Der schwerste terroristische Anschlag in der Geschichte der Menschheit.

Der Angriff hat schon stattgefunden, und zwar am 3. Mai des Jahres 2004. Gott sei Dank nicht in der Realität, sondern im Rahmen einer Notstandsübung. Zu diesem Zweck waren über 50 hochrangige Politiker und Experten von NATO, EU und aus den USA zusammengekommen, darunter auch der EU-Außenbeauftragte Javier Solana. Ihnen wurden Nachrichtensendungen aus den Tagen der fiktiven Katastrophe präsentiert. Adrette Sprecherinnen des Senders Global Network News und ernst dreinblickende Reporter wechselten sich ab und rapportierten die obigen Opferzahlen, das Elend Strahlen-verseuchter Hilfstrupps, die ohnmächtigen Reaktionen der Politiker, die ökonomischen Folgen.

Wie im echten Leben wird die Ansagerin von sogenannten Breaking News unterbrochen. Eine Einspielung des Senders »Arab World News« folgt. Zu sehen ist ein Bekennervideo von bin Laden. Der ultimative Bösewicht übernimmt die Verantwortung für den Horror: »Letztes Jahr haben wir den Europäern einen Waffenstillstand angeboten … Aber eure Politiker wollten nicht hören … Heute konnten Sie sehen, dass unser Angebot ein Zeichen der Stärke war … Was wir heute getan haben, können wir wieder tun.« Der Saudi spricht Arabisch, was simultan ins Englische übersetzt wird. Der Dolmetscher hat einen undefinierbaren orientalischen Akzent. Offensichtlich kommt er aus derselben Weltgegend wie der Terrorist. Das macht den Clip noch authentischer.

Aber er ist nicht authentisch. Er ist gefälscht. Al Qaida hat keine Atombombe. Das Bekennervideo ist ein Fake. Der Mann sieht aus wie bin Laden, er spricht wie Bin Laden, er wird übersetzt wie Bin Laden, aber er ist nicht bin Laden. Bild und Ton wurden in einem US-amerikanischen Digitallabor erzeugt. Auftraggeber war der Think Tank, der auch die Terrorübung veranstaltet hat: das Center for Strategic and International Studies (CSIS). Bevor wir uns näher mit dieser Firma beschäftigen, verdient Folgendes festgehalten zu werden: Das Bekennervideo von Osama bin Laden für einen atomaren Anschlag in Europa ist schon fertig. Es stammt allerdings nicht von ihm. Bleibt die Frage: Wie verhält es sich eigentlich mit den anderen Aufnahmen des Saudis, die dem Fernsehzuschauer gezeigt wurden?

(...)

Paranoia und Hetze

Dieses Buch wird sich von fast allen deutschsprachigen Veröffentlichungen zum Thema Terrorismus unterscheiden. Bei den Kolleginnen und Kollegen der Journalistenzunft dominieren Paranoia und Islamophobie, und zwar unabhängig von der jeweiligen politischen Orientierung. Nehmen wir zwei Beispiele aus der Presselandschaft: die als linksliberal firmierende »Süddeutsche Zeitung« und ihr konservatives Gegenstück, den »Focus«. Für die Münchner Tageszeitung macht Annette Ramelsberger Stimmung: »Fast 400 gewaltbereite radikale Muslime zählt die Polizei bundesweit – es sind die sogenannten Gefährder, denen die Polizei zutraut, dass sie Anschläge planen … Aber es gibt auch noch die anderen, die über 30 000 Muslime, die zwar einem radikalen Islam anhängen, aber als nicht gewaltbereit gelten … Diese Leute müssen nicht selbst zuschlagen, aber sie können anderen die Arbeit erleichtern.« Berndt Georg Thamm, sogenannter Terrorismusexperte des »Focus«, hält das für untertrieben. »Sicherheitspolitiker beunruhigt, dass es möglicherweise 100 000 Muslime sind, die in Deutschland das Ziel der Weltherrschaft des Islam mit politischen Mitteln anstreben. «30 000, 100 000 – wer bietet mehr? Operiert in Deutschland eine Untergrundarmee aus moslemischen Terroristen und ihren Helfershelfern? Ramelsberger warnt vor der »Beschwichtigungsmaschine …, die die drohende Gefahr bedenkenlos kleinhäckselt«. Sie malt ein düsteres Panorama: »Die Zeichen mehren sich, dass islamistische Gruppen, zornige Einzeltäter oder Emissäre des Terrornetzwerkes Al Qaida versuchen, in Deutschland zuzuschlagen. Das kann auf dem Oktoberfest in München sein oder im Hauptbahnhof von Berlin, auf dem Rockkonzert am Nürburgring oder auf einer Ostseefähre in Rügen."

Zeitungsartikel lesen sich oft so wie die Prosaversion von Geheimdienstberichten. Wer dagegen anschreibt, hat es schwer. Ministerien und Dienste sind nicht besonders kooperativ, wenn ein Journalist ihre Arbeit kritisch unter die Lupe nimmt. Dieses Buch wurde nur möglich, weil es auch Ausnahmen gibt: unzufriedene Mitarbeiter der Behörden, die Informationen liefern. Besonders profitiert habe ich von meiner Tätigkeit für den BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages, der im Mai 2006 seine Arbeit aufnahm und mögliche Gesetzesverstöße im Zusammenhang mit dem Antiterrorkampf zu klären hat. Zwar ist es jedem Mitarbeiter untersagt, aus den sensiblen Dokumenten zu zitieren, die dem Gremium zur Verfügung gestellt werden. Überdies bekam ich vom Verfassungsschutz keine Sicherheitsfreigabe, die mir das Studium besonders brisanter Geheimakten ermöglicht hätte. Der Staatsschutz darf nämlich genehmigen, von wem er sich kontrollieren lässt. Obwohl ich aufgrund dieses Handicaps nur einige Monate für den Ausschuss tätig sein konnte, erhielt ich Einblicke und Kontakte, die mir eine ganz andere Verknüpfung der vorhandenen Informationen ermöglichten als den meisten Kollegen. Schnell verstand ich den Leitspruch von Sherlock Holmes: »Nichts ist trügerischer als eine offenkundige Tatsache.«

Zum Inhalt des Buches

Die folgenden 300 Seiten kann man als Enzyklopädie aller europäischen Anschläge und Anschlagsversuche lesen, für die islamistische Täter verantwortlich gemacht wurden. Das Frappierende: In fast allen Fällen spielten Agenten oder V-Männer von Geheimdiensten eine tragende Rolle. Mit anderen Worten: Kein einziger dieser Morde oder Mordversuche hätte ohne die Mithilfe der Staatssicherheit unternommen werden können.

Fast jede der erwähnten Terrorattacken lässt sich auf zwei europaweit agierende Strukturen zurückführen. Zum einen auf das Londoner Terrornetz rund um die Finsbury Moschee, das im zweiten Kapitel vorgestellt wird; zum anderen auf eine süddeutsche Zelle, die sich zunächst in Freiburg herausgebildet hat und sich von dort nach Ulm/ Neu-Ulm verlagerte. Darüber informiert das dritte Kapitel. Während es zum ersten Täterkreis in Großbritannien – allerdings nicht in Deutschland – bereits einige Studien gibt, wird der zweite Kontaktring in diesem Buch erstmals in seiner ganzen Tragweite enthüllt.

Im Einzelnen werden behandelt: die Anschläge auf das Nahverkehrsnetz in Paris 1995 und in Nordfrankreich 1996 (Kapitel 4); der vereitelte Bombenterror zu Weihnachten 2000 in Strasbourg (Kapitel 5); die Hamburger Zelle um die angeblichen Flugzeugentführer des 11. September 2001 (Kapitel 6); die Mailänder Zelle (Kapitel 7); die Anschläge in Istanbul im Jahr 2003 (Kapitel 8); die Ulmer Szene und die Entführung von Khaled al Masri 2004 (Kapitel 9); das Madrider Bombeninferno am 11. März 2004 (Kapitel 10); die Anschläge auf drei U-Bahnen und einen Bus am 7. Juli 2005 in London (Kapitel 11); die sogenannten Kofferbomber vom Kölner Hauptbahnhof 2006 (Kapitel 12); mehrere Attentatsversuche in Berlin (Kapitel 13); die 2007 in Wien festgenommenen sogenannten Cyber-Terroristen (Kapitel 14); und das angeblich im September 2007 vereitelte deutsche 9/11 (Kapitel 15).

Westliche Nachrichtendienste, vor allem der britische MI5 bzw. MI6 und die US-amerikanische CIA, blicken auf eine lange Geschichte der Zusammenarbeit mit moslemischen und anderen Extremisten zurück. Kapitel 1 gibt einen Überblick über die Kooperation vom Afghanistankrieg der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts bis zu der Epochenwende am 11. September 2001. Kapitel 16 stellt verdeckte Operationen vor, die von der CIA/NATO-Geheimarmee Gladio im Kalten Krieg durchgeführt wurden, und skizziert, wie diese Untergrundarbeit nach 9/11 fortgesetzt wurde – nunmehr nicht mehr gegen den kommunistischen, sondern gegen den islamistischen Feind.

In Kapitel 17 wird beschrieben, wie antidemokratische Fraktionen in den Sicherheitsapparaten durch geduldeten oder inszenierten Terror im Rahmen einer »Strategie der Spannung« die Vorbereitungen auf einen gigantischen Überwachungsstaat vorantreiben. Das abschließende Kapitel 18 diskutiert die Gefahr, dass insbesondere die Hardliner in der CDU/CSU um Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble versucht sein könnten, solche Planungen putschartig durchzusetzen.

Keine Entwarnung

Für einen solchen Putsch bräuchte es einen Terroranschlag auf deutschem Boden. Dessen Wahrscheinlichkeit wächst, je tiefer die Bundesrepublik sich in den globalen Krieg der USA hineinziehen lässt. Entweder der islamistische Widerstand wird, in Vergeltung der Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an Gräueltaten in Afghanistan oder sonst wo, Ziele auch hierzulande angreifen. Wer der wahnwitzigen Ansicht ist, Deutschland werde auf den Höhen des Hindukusch verteidigt, darf sich nicht wundern, wenn die Rächer der dortigen Opfer in den Tälern der Alpen zurückschlagen.

Oder, was wahrscheinlicher ist: Die US-geführten Geheimdienststrukturen werden eine solche Attacke mit Hilfe moslemischer Dummies selbst durchführen. Das Ziel: die mehrheitlich kriegsunwillige deutsche Bevölkerung von der scheinbaren Notwendigkeit des weltweiten Antiterrorkrieges zu überzeugen. Der transatlantische Schulterschluss ist auch die Intention des Think Tanks, der die eingangs geschilderte Notfallübung in Brüssel veranstaltet und das bin Laden-Bekennervideo produziert hat. Zum Center for Strategic and International Studies (CSIS) gehören Vordenker der US-Außenpolitik wie Zbigniew Brzezinski und Henry Kissinger, frühere Minister wie Warren Christopher und Madeleine Albright, ehemalige Sonderbotschafter wie Bob Dole und Stuart Eizenstat. Im Jahr 2003, etwa ein Jahr vor dem fiktiven Atomterror-Szenario, publizierte der Think Tank ein Memorandum, das die EU zu mehr Solidarität mit den USA auffordert: »Es ist dringlich und notwendig, dass die Europäer mehr tun, um den Amerikanern zu versichern, dass die Vereinigten Staaten in Europa willkommen sind.« Und wenn sie das nicht freiwillig tun, wie es in jenem Jahr der Achsenbildung zwischen Paris, Berlin und Moskau der Fall zu sein schien? Dann muss man sie daran erinnern, dass sie von atomarer Verwüstung bedroht sind, falls sie sich dem Großen Bruder auf seinem Kreuzzug gegen den Islam nicht anschließen.

Um Missverständnisse zu vermeiden: Dieses Buch richtet sich nicht gegen die deutschen Sicherheitsorgane. Ganz im Gegenteil: Die allermeisten Mitarbeiter unserer Polizei und unserer Geheimdienste tun alles in ihrer Macht Stehende, um »Schaden vom deutschen Volk abzuwenden«, wie es in der Eidesformel heißt. Das Wohl dieses Landes und seiner Menschen hängt davon ab, dass sie den anderen, die sich zum Gegenteil verschworen haben, nicht das Feld überlassen.

*Jürgen Elsässer: Terrorziel Europa - Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste. Residenz Verlag, St.Pölten/Wien 2008, 344 Seiten, 21,90 Euro, ISBN 9783701731008. ab 11. September im Buchhandel.

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