Im Namen des Erhabenen  
  Interview mit Prof. Wittmann
 

Muslim-Markt interviewt
jun. Prof. Dr.-Ing. Andreas Wittmann - Aufdecker von Ungereimtheiten beim NSU Prozess
16.10.2014

Andreas Wittmann (Jahrgang 1975) hat ab 1995 Sicherheitstechnik an der Bergischen Universität Wuppertal mit dem Schwerpunkt Arbeitssicherheit studiert. 2005 folgte die Promotion zum Dr.-Ing., die er im Rahmen seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Arbeitssicherheit, Arbeitsphysiologie und Infektionsschutz an der Bergischen Universität Wuppertal erarbeitet hat. Mehrere andere Hochschulen nutzen seine Spezialkenntnisse im Rahmen von Lehraufträgen. Im Jahr 2010 wurde er zum Juniorprofessor für das Fach Technischer Infektionsschutz berufen.

Prof. Dr.-Ing. Andreas Wittmann lebt im Großraum Wuppertal ist verheiratet und Vater von 2 Kindern. (Foto mit freundlicher Genehmigung von Prof. Wittmann)

MM: Sehr geehrter Herr Prof. Wittmann, wie kommt ein Ingenieur, dessen Schwerpunkt die Arbeitssicherheit ist und der dazu an einer deutschen Universität lehrt, dazu, sich ausgerechnet mit dem NSU-Prozess zu so intensiv zu beschäftigen?

Prof. Wittmann: Ich habe mich schon immer sehr für Politik, unser Rechtssystem und die Rolle der Medien interessiert. Natürlich war ich nach dem überraschenden Auffliegen des so genannten NSU am Anfang schockiert von den Abgründen, die sich da nach den Ereignissen in Eisenach und Zwickau auftaten. Aber diese Wahnsinnsenthüllungen kamen meiner Meinung nach viel zu schnell, viele Ungereimtheiten traten auf und täglich werden es mehr. Auch der Gedanke, dass sich schwer bewaffnete Kriminelle bei der Ansicht zweier Streifenpolizisten spontan das Leben nehmen, anstatt zu kämpfen und dann auch noch Beweise für die Täterschaft an allen ungeklärten Verbrechen seit der Sintflut mit sich führen, das ist nicht glaubhaft.

MM: Und was denken Sie über diese Ungereimtheiten?

Prof. Wittmann: Über diese Ungereimtheiten habe ich mich viel mit anderen Interessierten ausgetauscht. Ende Juni wurden dann einem Mitblogger („fatalist“) die Ermittlungsakten für den Prozess in München zugespielt, an deren Aufarbeitung der „Arbeitskreis NSU“ nun seit mehreren Monaten arbeitet. In diesem Arbeitskreis engagieren sich die unterschiedlichsten Personen der unterschiedlichsten politischen Richtungen, die alle ihr Wissen und viel Engagement in die Analyse der Akten und dem Vergleich der Akteninhalte mit der Realität im Münchner Prozess und den Medienberichten stecken. Alle eint das staatsbürgerliche Engagement für den Rechtsstaat. Aus den uns vorliegenden, sicherlich authentischen Akten geht aber an vielen Stellen eindeutig hervor, dass die Geschichte, so wie sie heute in den Medien und in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, nicht gelaufen ist. Weiterhin belegen die Akten eindeutig Beweisfälschungen durch Mitarbeiter deutscher Behörden. Und das in einem derartig sensiblen, von der Öffentlichkeit international genau beobachteten Verfahren. Bedauerlicherweise schweigt die Presse dazu immer noch.

MM: Sie haben dem Bundesinnenminister einen Brief zum so genannten Česká-Paradoxon gesandt. Was ist darunter zu verstehen?

Prof. Wittmann: Der Brief wurde von den Mitgliedern des Arbeitskreises an den Innenausschuss des Deutschen Bundestages (einen Teil der Legislative), nicht an den Innenminister (Exekutive) versandt. Im Brief geht es unter anderem um die angebliche Mordwaffe Česká, die im Verfahren zum NSU eine große Rolle spielt. Das Česká-Paradoxon besteht darin, dass eine Waffe, deren waffentechnische Prüfung durch Experten des BKA erst am Vormittag des 11.11.2011 beginnt, nicht am selben Vormittag vom Chef des BKA Ziercke als geprüfte, probebeschossene eindeutige Mordwaffe bei 9 Morden verkündet werden kann: Entweder ist ungeprüft verkündet worden, die in Zwickau gefundene Česká sei die Mordwaffe, oder den Behörden war, eventuell schon vor dem Auffinden am 9.11.2011 bekannt, dass es sich um die Mordwaffe handelt. Oder es ist eben gar nicht die Mordwaffe, obwohl das bis heute weiter behauptet wird. Die einsehbaren Gutachten des BKA sind da sehr viel vorsichtiger als die Bundesanwaltschaft im Prozess. Im Übrigen war es unser Brief, der nun vieles ins Rollen brachte.

MM: Es ist kaum anzunehmen, dass der Bundesinnenminister dazu substantiell antworten lässt, aber welche Auswirkung haben diese Fakten auf den Prozessverlauf?

Prof. Wittmann: Immerhin hat Herr Bosbach, der Vorsitzende des Innenausschuss des Deutschen Bundestages mittlerweile geantwortet. Der Innenausschuss will nun die Gerichtsakten beiziehen um zu überprüfen, ob die von unserem Arbeitskreis ermittelten Ungereimtheiten sich auch aus den "Originalakten" ergeben. Das ist aber anzunehmen, denn niemand hat bislang behauptet, die geleakten Akten wären gefälscht, wofür auch nichts spricht. Wir können aber nur Anstöße geben, auf Ungereimtheiten hinweisen - unsere Rolle besteht nicht in der Strafverfolgung, dafür sind andere Akteure vorgesehen und notwendig. Auf den Prozessverlauf glaube ich aber hat das erst mal gar keine Auswirkungen. Es wird zunächst ignoriert werden, von Anklage, Nebenklage, Verteidigung und Gericht. Nur, Warum?

MM: Gibt es weitere Indizien für Ihre Skepsis bezüglich des NSU-Prozesses?

Prof. Wittmann: Ich und auch der gesamte Arbeitskreis verabscheuen diese Taten und möchte die Verantwortlichen natürlich vor Gericht sehen. Es wurden bisher, trotz mehr als 150 Prozesstagen keinerlei tragfähigen Beweise vorgelegt, die belegen, dass die verstorbenen Böhnhardt und Mundlos mit den angeklagten Taten - immerhin 10 Morde, mehrere Sprengstoffanschläge und etliche Banküberfälle - wirklich etwas zu tun hatten. Skepsis ist jedoch aus meiner Sicht noch stark untertrieben, denn bislang entlasten sämtliche Sachbeweise (DNA, Fingerabdrücke, Videoaufnahmen) an Waffen und Tatorten die Verstorbenen und die Hauptangeklagte. Das spielt aber offenbar im Prozess keine Rolle.

MM: Ist es denn überhaupt denkbar, dass nicht Böhnhardt und Mundlos die Morde begangen haben, sondern ganz andere, die hier gedeckt werden sollen?

Prof. Wittmann: Weder aus dem Prozess, der jetzt 150 Tage dauert, noch aus den Ermittlungsakten lassen sich eindeutige Beweise für die angeblich durch Mundlos und Böhnhardt begangenen 10 Morde ersehen. Beispiele dafür sind nicht vorhandene DNA-Spuren an den jeweiligen Tatorten, Gegenständen und Waffen (an Letzteren wurde zwar DNA gefunden, sowohl an den Mordwaffen von Heilbronn in Zwickau als auch an den vermeintlichen Bankraubwaffen Arnstadt und Eisenach im Wohnmobil, jedoch keine Uwe-DNA, sondern Fremd-DNA, die immer noch unbestimmt ist), widersprüchliche Zeugenaussagen nebst Phantombildern, die keine Übereinstimmung mit dem Aussehen von Böhnhardt und Mundlos aufweisen, nicht zu vergessen. Es existiert kein einziger auch nur annähernd „harter Beweis“ für die behauptete Täterschaft. Weder bei den Morden noch bei den zwei Bombenanschlägen in Köln noch bei den vorgeworfenen Bankrauben: Über 4300 DNA-Spuren aus den Akten passen nicht zu den Uwes.

MM: Wie erklären Sie sich, dass die Medien, die sich doch sonst sehr gerne und teils reißerisch auf skandalöse Nachrichten stürzen, im Fall der Ungereimtheiten im NSU-Prozess so zurückhaltend sind?

Prof. Wittmann: Das ist mir bisher auch unerklärlich. Immerhin werden unsere Ergebnisse mittlerweile von kleineren unabhängigen Verlagen und Medien wahrgenommen, die wiederum das ein oder andere Thema aufnehmen und veröffentlichen. Wir werden in der Zukunft an einem Punkt gelangen, an dem sich auch die Massenmedien mit der neuen Beweislage, die wir mit unseren Recherchen schaffen, befassen müssen. Wir vermuten eine Art von Staatsräson, die zu dem von Ihnen angemerkten merkwürdigen „Leisetreten“ der Medien führt.

Wir müssen auch sehen, dass es hier eine politische Konstellation gibt, die mit der Platzierung der NSU-Geschichte zu tun hat. Im Jahr 2011 standen schwerwiegende europapolitische Entscheidungen an, bei denen deutsche Interessen nicht artikuliert werden durften. Gleichzeitig bildeten sich Parteien, die an diese Interessen andocken wollten. Da kam der „nationale Dämpfer“ NSU gerade recht. Wie bei der klassischen „Strategie der Spannung“, die die NATO jahrzehntelang über Europa ausgebreitet hat, ließen sich damit auch die Minderheiten verunsichern: Jene Muslime, die sich zu selbstbewussten Deutschen entwickelt hatten, konnte man wieder in die politisch erwünschte „Opferrolle“ drängen, Unfrieden zwischen den Bevölkerungsgruppen stiften. So hatte das Establishment auf jeden Fall etwas vom „rechten Terror“.

MM: Welches Motiv vermuten Sie dahinter, dass bestimmte Quellen Ihnen ansonsten schwer zugängliche Akten zukommen lassen?

Prof. Wittmann: Das Motiv kann nur der Drang zu „Wahrheit und Gerechtigkeit“ gewesen sein. Für diesen ersten Schritt kann man nur dankbar sein...

MM: Nehmen wir einmal an, es gibt eine Art Verschwörung von wem auch immer, wie ist es dann zu erklären, dass die von Ihnen durch einfache Akteneinsicht aufgedeckten Ungereimtheiten niemandem zuvor aufgefallen sind, weder der Polizei, noch der Anklage bzw. Staatsanwaltschaft noch der Verteidigung. Schließlich können die ja nicht alle gleiche Ziele verfolgen?

Prof. Wittmann: Eine interessante Frage, die ich gerne zu einem späteren Zeitpunkt an die von Ihnen aufgeführten Stellen richten möchte. Ich kann nur vermuten, dass diese Stellen zwar das selben Ziel verfolgen, nämlich die Verurteilung von Beate Zschäpe; die Beweggründe dafür werden allerdings grundsätzlich unterschiedlich sein. Gerade die Rolle der Verteidigung ist dabei zu hinterfragen, da die „Schweigestrategie“ der Verfestigung eines unbewiesenen „NSU-Narrativs“ entgegenkommt und den Angeklagten Zschäpe und Wohlleben nicht zum Vorteil gereicht: Beide sitzen weiterhin in Untersuchungshaft, obwohl es bislang keinen einzigen harten Beweis gibt. Da gerät aber aktuell Einiges in Bewegung, gerade was die Herkunft der 9-fachen behaupteten Mordwaffe Česká 83 mit Schalldämpfer angeht. Geklärt ist da wenig, ein Skandal innerhalb des Skandals, denn die Dinge hätten seit Beginn der BKA-Nachforschungen in der Schweiz im Mai 2004 geklärt werden müssen.

MM: Wenn jemand weitere Ungereimtheiten entdeckt, an wen kann er sich wenden bzw. welche Blogs empfehlen Sie, die mit einer seriösen Herangehensweise versuchen Aufklärungsarbeit zu leisten?

Prof. Wittmann: Der Arbeitskreis NSU hat dazu einen Blog (wer-nicht-fragt-bleibt-dumm.blogspot.de) und ein Forum (nsu-leaks.freeforums.net) erstellt, bei dem jeder mithelfen kann, weitere Aufklärungsarbeit zu leisten, in dem er seine Beobachtung und Einschätzung zum Fall veröffentlichen kann. Jeder kann sich an uns wenden, ob im Internet, postalisch oder wie auch immer.

MM: Prof. Wittmann, wir danken für das Interview.

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