Im Namen des Erhabenen  

  Interview mit M.L. Hübner

 

Muslim-Markt interviewt
Michael L. Hübner, Herausgabe des Preußischen Landboten
30.6.2015

Michael L. Hübner (Jahrgang 1964) ist ein einem Kloster in der Mark (damalige DDR) geboren und hat ab 1973 an der Polytechnischen Oberschule mit erweitertem Russischunterricht gelernt. 1983 erlangte er einen Abschluss als Instandhaltungsmechaniker mit Abitur im VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg an der Havel, anschließend folgte der Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee der DDR und daraufhin ab 1987 das Studium der Medizin und Chemie an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Freien Universität Berlin. 2006 folgte das Studium der Politologie und Organisation an der Fernuniversität Hagen. Er arbeitet vor allem als freier Journalist. Seit 2003 ist er Herausgabe des Preußischen Landboten. Seit 2013 ist er Chefredakteur des Teltower Stadt-Blatt Verlages.

Herr Hübner ist verwitwet, hat vier Kinder und lebt im Großraum Brandenburg.

MM: Sehr geehrter Herr Hübner, auf der Homepage des Preußischen Landboten steht unter dem Glaubensbekenntnis der Muslime folgender Satz von Ihnen: "In Dankbarkeit und Ehrfurcht einer Religion gegenüber, die das Licht der Bildung, des Wissens und der Zivilisation bewahrte, als über das Abendland die Finsternis der Barbarei und des Aberglaubens hereinbrach. Europa steht tief in der Schuld des Islam." Wie kam es zu diesem äußerst ungewöhnlichen Hinweis?

Hübner: Als sich das Christentum einige Jahrhunderte vor den Verkündigungen an den Propheten Mohammed, sein Name sei gepriesen, zu etablieren begann, begannen sofort Apologeten dieser neuen Religion, die in staatstragende Positionen aufgestiegen waren, Inhalt und Leere dieser Religion zu verfremden, zu überformen, ihren speziellen Bedürfnissen, die auf Machterhalt und -ausbau gerichtet waren, anzupassen - kurz - die Botschaft des armen, galiläischen Wanderrabbis Jeschua ben Mariam, genannt Jesus, zu pervertieren. Selbst einem aufgeklärten Kaiser, wie dem Byzantiner Julian Apostata, stieß diese Entwicklung sauer auf, ohne, dass er, selbst in seiner unvergleichlichen und machtvollen Stellung, es vermocht hätte, diese Tendenz nachhaltig zu beeinflussen. Infolgedessen führte ein Christentum, das den Namen nicht mehr verdiente, das Abendland in einen schauerlichen Abgrund von Despotie, Dogmatismus, Stagnation und geistiger Finsternis.

Die sogenannten "heidnischen" Wissenschaftler und Autoren der Antike blieben lange Zeit nur einem elitären Bereich der Gesellschaft zugänglich und vorbehalten. Als einzig relevantes Wissen wurde akzeptiert, was in den Schriften der Bibel und der autorisierten Kirchenväter geschrieben stand. Erkenntnisgewinn war weitflächig verpönt. Zu gefährlich erschien den Hütern des Dogmatismus die Möglichkeit, Evidenzen zu entdecken oder zu beweisen, die den Aussagen der Heiligen Schrift widersprachen. Die Statik der Religion hatte einzig und allein die Perpetuierung der irdischen Macht Einzelner zum Ziel! Und nichts sonst. Alleine dafür den Namen Gottes zu missbrauchen, erfüllte den Tatbestand der Blasphemie!

In genau dieser Zeit, der Epoche des aufstrebenden Islam, bedrohte also das Christentum die Erkenntnisse der Antike im selben bilderstürmerischen Maße, wie es später den Buddhas von Bamiyan oder der antiken Stadt Ninive zum Verhängnis wurde. Wie gesagt, das hatte nichts mit den transzendenten Inhalten der auf Liebe, Güte, Nachsicht und Vergebung orientierten Religion des Christentums zu tun, sondern zielte damals wie heute auf ganz profane und irdische Beweggründe schnöden Machterhalts sterblicher Personen ab.

Der Koran hingegen unterdrückte mit keiner Sure den Drang des Menschen nach dem Verstehen wollen von Allahs Welt. Wofür sonst hätte ER, der Weise und Gütige, ihm, dem Menschen, SEINER Schöpfung, diesen zum Denken und Verstehen befähigten exorbitanten Verstand gegeben?

Somit sehe ich das nicht hoch genug zu würdigende Verdienst des Islam darin, die gewaltigen Reichtümer des Wissens und der Aufklärung, der Empirik, der Logik, der Forschung und der Lehre, wie sie von den Alten erdacht und ersonnen wurden, über eine Ära der europäischen Geschichte hinweg bewahrt zu haben, als dieses Wissen im Okzident komplett verloren zu gehen drohte. Mehr noch, überragende islamische Forscher, Lehrer und Wissenschaftler erweiterten unermüdlich den Kosmos der Erkenntnis. So zählt Abū Alī al-Husain ibn Abdullāh ibn Sīnā pars pro toto zu den unbestrittenen Vätern auch der okzidentalen Medizin, Astronomie, Mathematik, Physik, Philosophie ...

MM: Ist das Zitat nur in die Vergangenheit gerichtet?

Hübner: Natürlich wirkt das Zitat auf dem Titel des Preußischen Landboten in beide Richtungen. Es ist beileibe nicht nur ein Dank an den frühen Islam, sondern auch eine Mahnung an die Gläubigen der Gegenwart, sich die Botschaft des Propheten, Allah schütze und segne ihn, nicht von Kräften rauben zu lassen, die sich sehr zu Unrecht Muslime nennen, während ihre Taten das Gegenteil sprechen. In diesem Falle ist das Abendland aufgefordert, im festen Schulterschluss mit den Gläubigen die Werte zu bewahren, welche den Menschen im Koran überliefert wurden.

Man darf auch nie außer Acht lassen, welche politischen Großwetterlagen Menschen zu geistlosen Radikalen jedweder Couleur degenerieren lassen. Provozierte einst die Dekadenz des Römischen Imperiums ein fanatisiertes Christentum, so waren es später und sind es bis heute die arroganten, kolonialen und postkolonialen Attitüden des alten Kontinents und der aus ihm hervor gegangenen Vereinigten Staaten von Amerika. Allzulange herrschte in diesen Gesellschaften die Auffassung, ein aggressiv errungener, hegemonialer Erfolg berechtige dazu, anderen Völker die eigene Weltsicht auf oktroyieren zu können, während man ihnen deren Ressourcen unter den Füßen weg stahl und sie bitterer Armut überantwortete.

Ist es denn wirklich verwunderlich, dass sich ein muslimischer Vater radikalisiert, wenn er nicht weiß, wie er seine Familie ernähren soll, während im Westen Kinder des Wohlstands an einem Tage mehr Geld verprassen, als sein Dorf ein ganzes Jahr lang zum Überleben bräuchte? Und dies noch dazu völlig unreflektiert tun, indem sie an die Verlierer dieses Wahnsinns keinen einzigen Gedanken verschwenden! Das ist eine Demütigung von ungeheurem Ausmaß, für die Ausgebeuteten und Geschundenen dieser Welt völlig unverdient und ungerechtfertigt! Den Westen sehe ich daher in der Pflicht, hier sukzessive für einen akzeptablen Ausgleich zu sorgen. Erst dann werden in der islamischen Welt wieder die Kräfte die Oberhand gewinnen, die einst in der Lage waren, dem Abendland Wissen und Kultur zu bewahren. Kräfte der Toleranz und des Miteinanders, Kräfte, die sich jeglicher auf Gewalt basierenden Auseinandersetzung verweigern. Insofern hat das Abendland eine Schuld abzutragen. Das ist mit dem Abdruck des Glaubensbekenntnisses im Preußischen Landboten gemeint.

MM: Stehen Sie mit diesem Hinweis nicht im diametralen Gegensatz zum aktuellen deutschen Zeitgeist, der mit dem Islam nicht unbedingt Dankbarkeit sondern tiefe Abneigung verbindet?

Hübner: Nun heißt der Preußische Landbote ja Preußischer Landbote und nicht etwa "Deutscher Landbote". In Preußen, das seit 1947 nicht mehr staatsgeographisch gebunden ist, denkt man anders. Hier gilt ungebrochen die Maxime Friedrichs des Großen, der auch an die Adresse der Muslime schrieb: "Ich will ihnen Moscheen und Tempel bauen, sofern sie honette und industrieuse Menschen sind!"

Sie fragen nach dem deutschen Zeitgeist. Als Historiker beurteile ich diesen Zeitgeist über lange Zeiträume und in seiner Entwicklung, die in engem Zusammenhang mit der Geschichte des Werdens der deutschen Nation steht. Ohne despektierlich sein zu wollen: Die deutsche Nation macht auf mich den Eindruck eines in mehrerer Hinsicht späten Adoleszenten, der gerade mal seinem Halbstarkenalter entwachsen ist und in seiner Kindheit und Jugend fürchterlich misshandelt wurde. Bedenken Sie: Im Dreißigjährigen Kriege tobten sich alle Völker Europas auf dem Boden Deutschlands aus, weil es dem Reich nicht gelungen war, sich zu einem starken Zentralstaat zu formen, der diesem Treiben Einhalt hätte gebieten können. Die nationalen Komplexe, die daraus erwuchsen, waren mitverantwortlich für die beiden Urkatastrophen des 20. Jahrhunderts. Ein ganzes Volk, quasi über Nacht zu ungeheuerlichen Kräften gelangt, konnte weder mit diesen umgehen noch besaß es die moralische Reife, die vonnöten gewesen wäre, diese Kräfte verantwortungsvoll zu kanalisieren. Das Einzige, was sich klar kristallisierte, war, wie leicht dieses unter einem enormen Leidensdruck stehende Volk zuungunsten anderer Völker und sogar seiner eigenen Mitmenschen zu manipulieren war.

MM: Aber die Kriege liegen ja - Gott sei Dank eine Weile zurück ...

Hübner: Ich sehe in der Nachkriegszeit keine entscheidende, keine tragende Zäsur im Massenbewusstsein. Mit anderen Worten, dieses Volk ist noch immer billig und leicht zu manipulieren. Und glauben Sie mir, ein Blick in die gegenwärtige Medienlandschaft und ein Blick auf die Rezeption seitens des deutschen Volkes - und ich fühle mich in meinen Vermutungen bestätigt. Welch eine undifferenzierte, seit Jahrzehnten antrainierte USA-Hörigkeit! Die USA konnten in Vietnam, in Korea und im Iran treiben, was sie wollten. Sie gelten noch immer vielen Deutschen als das Gelobte Land! Welche teilweise abstrusen Animositäten gegen Moskau, welche Vorbehalte gegen die Welt des Islam! Und all diese Stammtisch-Beurteilungen entbehren jeglichen fundierten Hintergrundwissens. Eingeblasenes Zeug, martialisch illuminiert. Unterscheidet sich kaum von der Kriegspropaganda der Jahre 1914/15. Nur etwas sublimer eben.

MM: Gehört der tagtäglich wahrgenommene Terrorismus also auch zu dieser Propaganda?

Hübner: Der Terrorist, der Menschen vor laufender Kamera ermordet, der Kulturdenkmäler vergangener Generationen zerstört, der kleine Mädchen entführt und versklavt, ist kein Muslim! Definitiv nicht! Denn solche Taten hätten den Propheten, sein Name sei gepriesen, entsetzt und mit blankem Abscheu erfüllt. Der Dschihad ist der innere Kampf mit sich selbst um die Liebe und Nähe Gottes! Das bedeutet: Gottes Willen in sich zur Geltung bringen - nicht am Mitmenschen! Ich bin der Auffassung, wer immer sich anmaßt, seine Interpretation von Gottes Wort dem Nächsten mit Gewalt aufzuzwingen, versündigt sich am Höchsten. Denn er versucht nichts anderes, als dem Allmächtigen die Macht abzusprechen, SEINE Vorstellungen selbst in die Herzen SEINER Schöpfung zu senken. Ein solcher Mensch versucht, seinen Gott und Schöpfer zu entmündigen, ganz gleich, ober Jude, Christ, Moslem oder Hindu ist! Das stelle man sich mal vor! Schlimmer geht's ja gar nicht! Was für ein Größenwahn! Aber auch darüber soll der Allerbarmer richten - nicht wir!

Doch leider hat die deutsche Öffentlichkeit nicht den großherzigen, freien, zukunftsorientierten und -offenen Islam als möglichen Partner im Auge, sondern kolportiert stets und ständig das Bild der aus dem Ruder gelaufenen und schwer verirrten Zeitgenossen, die ihr Heil im Töten und Einschüchtern ihrer Mitmenschen sehen.

MM: Bekommen Sie denn keine negative Resonanz wegen dieser Sympathieäußerung?

Hübner: Überhaupt nicht!

MM: Kommen wir nun zu Ihrer Publikation selbst. In der Überschrift steht: "eine freie Stimme Preußens - Aufrecht -Tapfer -Unbestechlich - Linksliberal und Wertkonservativ" , Wie passt das alles zusammen?

Hübner: Dass diese Überschrift erklärungsbedürftig ist, beweist, dass das Bild Preußens in eine ebenso negative Konnotation geraten ist, wie das des Islam. Und wie immer - sehr zu unrecht! Ausschlaggebend waren hier wie dort einige unangenehme Gestalten, die für sich in Anspruch nahmen, hier die Idee Preußen und dort den Islam zu repräsentieren. Die breiten Massen sind willig, dies unbesehen zu glauben. Denn Böses erscheint den Leuten regelmäßig eingängiger als Gutes.

Wer kennt denn noch die von Liebe, Verständnis und Respekt getragenen Verhandlungen zwischen Kaiser Friedrich II. Roger von Hohenstaufen und Sultan al-Kāmil Muhammad al-Malik im Jahre 1229? Ein beeindruckendes Beispiel für Ausgleich bei gutem Willen, Verstand und Toleranz. Nein, wenn es um das Thema "Kreuzzüge" geht, dann werden nur die blutigen Mauern von Akkon, die Hörner von Hattim und das Massaker von Jerusalem/al-Quds zitiert.

So verhält sich das auch mit den Werten Preußens. Preußen ist groß geworden in Bescheidenheit, Armut, Disziplin und Toleranz. Es ging unter in Dünkel, Großmannssucht und der Perversion aller seiner Werte. Auch einem Preußen kann das Herz links schlagen. Er kann freiheitlich denken und dabei die Werte, die ihm von seinen Müttern und Vätern überliefert wurden, und die sich als gut und richtig erwiesen haben, ehren und tradieren.

Als die Alliierten Preußen als "Hort des deutschen Militarismus" 1947 aufgelöst hatten, bezeugten sie damit nur ihre absolute Unkenntnis und Ignoranz gegenüber der Geschichte. Sie konnten Preußen gar nicht mehr auflösen, denn seit 1870/71 existierte es sowieso nur noch dem Namen nach. Eigentlich stand Preußen schon nach Jena und Auerstedt zur Disposition. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Preußen hat auch gar keinen Staat nötig. Es hat Menschen nötig, die seine Idee des Offenen, der Toleranz und der Aufklärung in sich tragen und durch ihr Lebensbeispiel, nicht durch Agitation und Propaganda, und schon gar nicht durch Gewalt, weitertragen.

MM: Sie sind auch Chefredakteur des Teltower Stadt-Blatt Verlages. Wie ist die Stimmung in Teltow gegenüber Muslimen?

Hübner: Es sind mir aus der Region Teltow-Kleinmachnow-Stahnsdorf einschließlich Großbeeren absolut keine Ressentiments gegen Muslime bekannt. Nun gibt es auch nicht so viele Berührungspunkte, ganz einfach aus dem Grunde, weil sich in dieser kleinteilig besiedelten Region im südwestlichen Umland Berlins noch keine starke muslimische Gemeinde etablieren konnte. Etwas anderes ist das mit den Flüchtlingen, die teilweise auch aus dem islamischen Kulturraum zu uns gekommen sind. Meiner Einschätzung zufolge ist die Stimmung ihnen gegenüber bislang als sehr aufgeschlossen zu bewerten. Inwieweit sich xenophobe Gefühle Bahn brechen würden, wenn es zu einem signifikanten Zuwachs an islamischer Bevölkerung käme, das vermag ich beim besten Willen nicht einzuschätzen.

MM: Was empfehlen Sie für das konstruktivere Miteinander?

Hübner: Meine Empfehlung wäre, ein organisches Ineinanderwachsen so unterschiedlicher Kulturen zu ermöglichen. Dass der geographische Raum, in dem ich beheimatet bin, die Mark Brandenburg also, in ihrer Geschichte bereits mehrere dramatische Kulturwechsel und gewaltige Migrationsbewegungen durchlebt hat, ist den Zeitgenossen im Alltag kaum noch präsent. Dies aber geschah in historischen Zeiträumen und ist für den normalen Zeitgenossen weder fassbar noch von Belang. Wer, außer in der Lausitz, erinnert sich heute zum Beispiel noch seiner wendischen Wurzeln? Eine kulturelle Verwirbelung aber innerhalb nur weniger Generationen führt wohl an jeder Ecke dieser Welt zu Irritationen bei "Alteingesessenen". Dabei tragen diese Prozesse bis auf Ausnahmen nicht einmal vordergründig chauvinistischen Charakter. Sie speisen sich aus dem allgemeinen und ganz gut erforschten sozialpsychologischen Verhaltensrepertoire des Menschen. Wenn man diesen Fakt gebührend berücksichtigt und aufeinander treffenden, differenten Kulturen die Chance einer Gewöhnung lässt, dann sollten sich Konfliktsituationen auf ein Minimum beschränken lassen.

Dass ein solches Vorgehen allerdings noch kein Garant für den Erfolg ist, das lässt sich an den grauenvollen Geschehnissen während des Balkankrieges im Zuge des Zerfalls Jugoslawiens in den Neunzigern des letzten Jahrhunderts deutlich ablesen. Auch hier griffen sich scheinbar aus dem Nichts Ethnien an, die seit Jahrzehnten, wenn nicht sogar seit Jahrhunderten friedlich und vertrauensvoll Haustür an Haustür miteinander gelebt hatten. Das ist eine Immanenz des menschlichen Charakters, gegen die kein Kraut gewachsen ist. Jedoch lässt sich sagen, je besser es den Menschen geht, desto weniger werden sie bereit sein, ihren Nachbarn zu überfallen und anzugreifen. Insofern, und ich wiederhole mich da, scheint es mir das dringlichste Gebot der Stunde zu sein, vonseiten des Abendlandes auf einen globalen Wohlstandsausgleich hinzuwirken. Und der schließt eben auch große Teile der islamischen Welt mit ein.

MM: Kommen wir noch einmal zurück zur Beziehung Preußen-Islam. Im Brandenburg-Preußen Museum in Wustrau gab es vom 23. März bis 5. Oktober 2014 die Sonderausstellung „Türcken, Mohren und Tartaren. Muslime in Brandenburg-Preußen“. Die dargestellten Beweise für die Verzahnung waren derart Vielfältig und derart überwältigend an Zahl, dass man sich heute darüber wundern muss, wie in nur wenigen Jahrhunderten offensichtlich ein wichtiger Teil der deutschen Geschichte in Vergessenheit geraten ist. Oder anders ausgedrückt: Vor über 100 Jahren schien ein deutscher Muslim geradezu "normaler" als heute. Wie können wir diese "verlorene" Geschichte wieder zum Leben erwecken?

Hübner: Es sind mir selbst aus meiner Heimat Preußen Beispiele bekannt, welche die enge Verflechtung zum islamischen Raum bezeugen. Denken wir nur an den 1827 hierorts geborenen Ludwig Karl Friedrich Detroit, welcher unter dem Namen Mehmed Ali Pascha der Hohen Pforte als Feldmarschall diente. Ein weiterer zu nennender Name wäre jener der Äthiopierin Machbuba, der Freundin Fürst Pückler-Muskaus, welche dieser von seiner Afrika-Reise mitbrachte und die ihm zur Seite blieb, solange sie lebte.

In ganz Deutschland wurde die Welt des Islam seit der Zeit des Biedermeier als eine exotische, zauberhafte, oftmals etwas verklärte Welt wahrgenommen. Denken wir an Wilhelm Hauffs Märchen, die zu einem großen Teil in Arabien beheimatet sind. Eindrucksvoll legt auch die Potsdamer Moschee, das ehemalige Dampfmaschinenhaus für Sanssouci, im Herzen der Residenz Zeugnis ab, welche Faszination die islamische Welt einst in den kühlen Breiten des Nordens entfachte. Mozarts "Entführung aus dem Serail" spricht Bände über das aufkommende Interesse an der Welt des Islams, wenngleich die letzte harte Konfrontation mit diesem Kulturkreis zum Zeitpunkt ihres Entstehens erst 99 Jahre zurücklag.

Leider muss man die Dinge relativieren. Diese Faszination hielt genau solange vor, wie die Vertreter des Islam in Deutschland zahlenmäßig nicht als Bedrohung des eigenen Kulturraums wahrgenommen wurden. Das änderte sich schlagartig, als es im Zuge des Arbeitskräftemangels nach dem Zweiten Weltkrieg zu massiven Einwanderungen muslimischer Menschen nach Deutschland kam und erste Moscheen in den Silhouetten deutscher Städte aufzutauchen begannen.

In diesem Augenblick begann sich eine veränderte Wahrnehmung Bahn zu brechen und mit einem Mal erinnerte man sich wieder der Schlacht von Tour und Poitiers im Oktober 732 unter Karl Martell, der Reconquista 1492 oder der türkischen Belagerungen Wiens von 1529 bis 1683. Die Erinnerung an die Kreuzzüge begann auf beiden Seiten wieder massiv aufzuflammen als Ausdruck dessen, dass man dem jeweils anderen der eigenen Kultur gegenüber feindliche Absichten unterstellte.

Dem deutschen Volk allerdings eine kollektive Erinnerungskultur abzuverlangen, halte ich für illusorisch. Erinnerung hat etwas mit gesunder Identitätsfindung zu tun. Genau um diese, um seine eigene, stabile Mitte, ringt Deutschland seit Jahrhunderten vergebens. Der Abschluss dieses Prozesses wird auch in den nächsten Generationen noch nicht zu erreichen sein. Bis dahin werden generationsübergreifend schlichte, undifferenzierte und oft blödsinnige, weil viel zu kurz greifende Bilder vom jeweils Anderen tradiert. Man meint zu wissen, wie er ist und kennt ihn nicht im Mindesten.

Die aus dieser Ursache resultierenden xenophoben Tendenzen sind nicht anders als durch eine behutsame, geduldige und tolerante Annäherung zu überwinden. Wichtig dabei ist, dass ein gegenseitiges Grundwissen über den Kulturraum des Anderen vermittelt wird, das zumindest geeignet ist, mit Vorurteilen aufzuräumen. Wichtig ist ebenfalls, dass keinen Radikalverfechtern, welcher Religion auch immer, gestattet wird, ihre Absicht unter dem Mäntelchen ihrer jeweiligen Religion zu verbrämen. Es ist ihnen klipp und klar zu sagen: "Nicht Gott will, was du hier verkündest. Du willst es. Du allein! Und du versuchst, Gottes Autorität für deine Zwecke zu missbrauchen!" Man muss diesen Einpeitschern in eigener Sache die Maske herunterreißen, ihre wahren Beweggründe unverblümt offenlegen. Sie demaskieren.

In diesem Falle sehe ich ein problemloses Zusammenleben der Kulturen im Bereich des Möglichen. Je mehr Beziehungen auf zwischenmenschlicher Ebene wachsen, desto schwieriger wird es für Radikale, wieder einen Keil in diese Gesellschaft zu treiben. Nicht unmöglich, zugegeben. Wir haben gesehen, wie in Deutschland, Jugoslawien, Galizien oder in Ruanda dammbruchartige Hasswellen über wehrlose Nachbarn hereinbrachen, mit denen man noch kurz zuvor friedlich und eng zusammenlebte. Ich sage nur, enge soziale Kontakte, die auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen gegründet sind, machen es Radikalen schwerer, den sozialen Frieden nachhaltig zu stören.

MM: Herr Hübner, wir danken für das Interview?

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